Non + Nee = Never?

VON RALF SOTSCHECK

Die britische Regierung hat das Referendum über die EU-Verfassung auf Eis gelegt. Ein Volksentscheid sei „nicht sinnvoll“, solange die Folgen aus der französischen und niederländischen Ablehnung der Verfassung nicht geklärt seien, sagte Außenminister Jack Straw gestern vor dem Unterhaus.

Straw vermied es, den Tod der Verfassung zu verkünden, um von den Regierungen in Berlin und Paris nicht als Attentäter beschuldigt zu werden. Schröder und Chirac hatten am Wochenende gefordert, mit dem Ratifizierungsprozess weiterzumachen, als sei nichts geschehen. Der stellvertretende polnische Außenminister Truszczynski warnte, wenn die Briten „den letzten Nagel in den Sarg“ einschlagen, stellen sie damit die Ratifizierung in den anderen Ländern in Frage. In Irland, Dänemark, Tschechien und Portugal denkt man bereits laut darüber nach, die Volksentscheide abzublasen.

„Die EU steht vor einer schwierigen Zeit“, sagte Straw. „Wir dürfen die Stärke der EU jetzt nicht unterminieren.“ Er zog die fürs Referendum erforderlich Gesetzesvorlage deshalb nicht zurück, sondern lässt sie lediglich ruhen. Die Tories verlangten dagegen, dass die Regierung die Verfassung endgültig ad acta legt. „Nach den beiden Referenda ist es vorbei“, sagte Kenneth Clarke, einer der wenigen Pro-Europäer an der Parteispitze. „Die Leute würden ja glauben, wir seien meschugge, wenn wir einen Volksentscheid über eine Verfassung ausrufen, die es offensichtlich nicht mehr gibt.“ Auch EU-Kommissar Peter Mandelson, ein enger Vertrauter von Premierminister Blair, glaubt nicht mehr an die Rettung der Verfassung. „Für die Ratifizierung braucht man die Unterstützung aller 25 EU-Mitglieder“, sagte er am Sonntag. „Es ist schwer vorstellbar, welche Umstände dazu führen könnten, das französische und niederländische Ergebnis umzudrehen. Es gibt also für Großbritannien keine vernünftige Vorlage, über die es sich abzustimmen lohnte.“

Mandelson ist der erste EU-Kommissar, der die Verfassung für verloren erklärt. Er forderte Blair auf, für die nächsten zwei, drei Jahre im Amt zu bleiben, um die EU-Krise zu lösen. „Er muss den anderen Mitgliedsländern und Regierungschefs dabei helfen, das Geschehene zu verarbeiten und zu verstehen, dass Europa in eine andere Richtung gehen muss, um aus dem Schlamassel herauszukommen, in dem es steckt“, sagte er. Großbritannien übernimmt im nächsten Monat die EU-Präsidentschaft.

Mit seinem Aufruf riskiert Mandelson einen Streit mit Schatzkanzler Gordon Brown. Es galt bisher als sicher, dass Blair nach dem Referendum über die Verfassung unabhängig vom Ergebnis im nächsten Frühjahr sein Amt an Brown abgeben würde. Nun ist der Zeitpunkt für Blairs Rücktritt wieder offen.

Blair, der gestern rechtzeitig für Straws Unterhausrede aus seinem Italienurlaub zurückkehrte, reiste am Abend weiter nach Washington, um US-Präsident George Bush vor dem G-8-Gipfel im schottischen Gleneagles Anfang Juli zu verstärkter Hilfe für die ärmsten afrikanischen Länder zu überreden. Die USA sind bisher zwar bereit, einen Teil der Schulden zu streichen, wollen das Geld aber durch Kürzungen der Entwicklungshilfe wieder hereinholen.

Brown muss sich heute beim Treffen der EU-Finanzminister in Luxemburg gegen die Forderungen aus Paris und Berlin wehren, auf Rückzahlungen aus dem EU-Haushalt zu verzichten. Die Tory-Premierministerin Margaret Thatcher hatte in Zeiten der britischen Rezession in den Achtzigerjahren ausgehandelt, dass Großbritannien drei Milliarden Pfund im Jahr aus dem EU-Topf zurückerhält. Brown hat geschworen, sich das nicht abhandeln zu lassen, selbst wenn er dafür ein Veto gegen den gesamten EU-Haushaltsplan für die kommenden sieben Jahre einlegen müsste. Damit würde er die EU in die nächste große Krise stürzen.