berliner szenen
: Diagnose durch Nagetier

Kürzlich bekam ich einen Massage-Gutschein geschenkt. Was, da gehst du da hin?, meinte eine Bekannte entsetzt. Klar, da geh ich immer hin, meinte ich zurück, die ist super. Würd ich nicht, sagt sie und schüttelt sich. Da kriegste alles ab. Das ist wie bei den diagnostischen Meerschweinchen, die die Schamanen lebend über ihre Patienten rubbeln. In Ecuador. Was?, frag ich ungläubig. Ist doch logisch, sagt sie, ein Masseur speichert die energetischen Schwächen der Klienten und gibt sie über seine Hände weiter an den nächsten. Das kann ja nicht gut sein.

Und was ist das mit den diagnostischen Meerschweinchen? Sie werden, doziert sie jetzt spitzmündig, nach ihrer Abreibung getötet und untersucht, und ihre durch die Rubbelei veränderten Organe zeigen die veränderten Organe des Patienten an, der entsprechend schamanisch behandelt wird. Das gibt mir zu denken. Ah, sag ich zögerlich. Und dann: Wild! Und dann: Zu wild. Das kann ich nicht glauben. Die Bekannte ist bekannt für ihre oftmals blumigen Thesen und Transfers, sinne ich, als ich im Bus nach Haus sitze.

Der braucht mal wieder länger als sonst auf seiner Schaukelei durch Kreuzberg. Die lange Fahrt schaukelt mich dann aber doch zunehmend in Zweifel. Massage oder nicht? Ist was dran an dieser Story? Sollte ich hingehen, werd ich den Kopf noch meerschweinchenfrei kriegen?

Als ich den Gutschein drei Tage später einlöse, ist die gewohnte Masseurin gerade frei. Alles wie immer. Ich krieg eine grüne Hose, eine klasse Massage, eine verstopfte Nase von den ätherischen Ölen. Am Ende zur Stärkung einen köstlichen, buttrigen Tee. Wie immer lasse ich mich damit noch für ein Weilchen in die pinkfarbigen Sofakissen sinken. Beim Rausgehen greife ich in die Bonbonniere und merke: vom Meerschwein-Effekt keine Spur. Felix Primus