Deutsche nicht mehr getürkt

Innensenator kündigt „Informationsschreiben“ an Hamburger türkischer Herkunft an: Rund 6.000 Eingebürgerte sollen Pässe vorlegen – um widerrechtliche Teilnahme an Neuwahlen zu verhindern, so Nagel. Protest-Ini warnt vor „Stimmungsmache“

Von Eva Weikert

„Die Freie und Hansestadt Hamburg benötigt von Ihnen auf dem beigefügten Vordruck eine Auskunft über Ihre Staatsangehörigkeit“, beginnt ein siebenseitiges Schreiben, das von Montag an tausenden türkischstämmigen HamburgerInnen ins Haus flattern wird. Die Innenbehörde kündigte gestern an, an etwa 6.000 Personen „Informationsschreiben“ zu schicken, die bis zum 7. Juli ausgefüllt an die Bezirke zurückzusenden sind.

Er wolle ermitteln, so Präses Udo Nagel (parteilos), wie viele Deutsch-Türken ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft zusätzlich wieder angenommen und damit die deutsche verwirkt haben. Anlass der „Aktion“ sei die vorgezogene Bundestagswahl, vor der das Wählerverzeichnis aktualisiert werden müsse. „Ziel ist nicht“, beteuerte der Senator, „jemanden abzuschieben.“

Im Januar war publik geworden, dass nach Kenntnis der türkischen Regierung etwa 50.000 in Deutschland eingebürgerte Türken erneut auch ihre alte Staatsangehörigkeit erhalten haben. Die Annahme einer zweiten Staatsbürgerschaft führt aber seit einer Gesetzesnovelle des Bundes von 2000 automatisch zum Verlust der deutschen.

Dafür sei nicht einmal ein „offizieller Bescheid erforderlich“, klärt jetzt das Behördenschreiben auf. Noch spiele es eine Rolle, ob jemand einen deutschen Pass besitze. Gleichwohl gebe es „keinen Grund zur Sorge“, heißt es fett gedruckt. Betroffene sollten „so schnell wie möglich“ wieder einen Aufenthaltstitel erhalten. Auch werde „unterstützt“, wer die deutsche Staatsangehörigkeit zurückhaben wolle. Dafür könne er sich ein „verkürztes Verfahren“ vorstellen, so Nagel gestern vage. Details habe aber die Innenministerkonferenz „bundeseinheitlich“ zu regeln.

Laut Nagel erhielten seit der Gesetzesnovelle 9.800 Hamburger Türken die deutsche Staatsangehörigkeit. Seine Bitte um Hilfe bei der Suche nach Doppelpässen habe das türkische Generalkonsulat abgewiesen. Warum er jetzt aktiv werde, begründete der Präses mit der Bundestagsneuwahl im Herbst. Bisher seien die Doppelpässe „erst mal nicht schädlich gewesen“. Nun aber sei sicherzustellen, „dass keine Person, die kein Wahlrecht hat, an der Wahl teilnimmt“.

Scharfe Kritik an der Briefaktion übt die Initiative „Kein Verlust der dt. Staatsbürgerschaft“. Das Schreiben verunsichere tausende Deutsch-Türken, die vom Verlust der Staatsangehörigkeit gar nicht betroffen sind, und „hält diese Gruppe so vom Wählen ab“, warnt Ini-Mitglied Mahmut Erdem. Auch vermittle der Massenversand den Migranten, „sie gehörten nicht hierher“. Die Behörde hätte besser „leise und unbürokratisch“ agiert.

Der Rechtsanwalt schätzt, dass mindestens ein Drittel der Betroffenen nicht die Kriterien für eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erfüllt. Diese erhält nur, wer nicht von staatlicher Stütze abhängt und über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt. Neben Hartz-IV-Opfern, denen konkret Abschiebung drohe, seien aber auch Ärzte und Beamte in ihrer Existenz gefährdet, weil deren beruflicher Status an die deutsche Staatsangehörigkeit gebunden ist.

Die Möglichkeit, dass jemand nach Passverlust ohne sicheren Aufenthaltstitel dasteht, „scheint mir sehr akademisch“, meinte indes Nagels Referent Jörg Klußmann. „Einzelfälle will ich aber nicht ausschließen.“