Die Antwort und die Rotluchse

Kein Spitzenteam will Allen Iverson. Der alternde Star könnte bald bei den Charlotte Bobcats spielen

Auf den ersten Blick – und wohl auch auf den zweiten und dritten – könnten die Unterschiede größer nicht sein: Hier einer der wohl besten NBA-Spieler aller Zeiten, der seit 1996 eines der sportlichen Aushängeschilder der Liga ist, da ein Team, das erst vor fünf Jahren seinen Einstand in derselben feierte. Auf der einen Seite ein Aufbauspieler, der 2001 zum MVP der gesamten National Basketball Association gewählt wurde und sein damaliges Team, die Philadelphia 76ers, ins Finale führte – auf der anderen eine Mannschaft, die bisher noch gar nicht in den Playoffs vertreten war.

Und doch scheinen sich Liga-Grande Allen Iverson und die Charlotte Bobcats langsam näherzukommen. Die vergangene Saison war statistisch gesehen die schlechteste des mittlerweile 34-Jährigen. Iversons Punkteschnitt sank von knapp 26 auf 18 pro Spiel.

Von Rückenbeschwerden geplagt, absolvierte „The Answer“ nur 54 Spiele für die Detroit Pistons – und sorgte zudem für Unruhe in der Autostadt. „Ich bin der Star der Mannschaft, wieso sollte ich nicht von Anfang an spielen?“, fragte ein erboster Iverson, nachdem sich Pistons-Coach Michael Curry entschied, den angeschlagenen Star auf die Bank zu setzen. „Wieso sollte ich von der Bank kommen? Für mich ist das wirklich eine Beleidigung.“ Im weiteren Verlauf der Spielzeit legte der Guard noch nach: „Ich höre lieber auf, anstatt auf der Bank zu sitzen.“ Der Vertrag in Detroit, wohin er erst zu Saisonbeginn aus Denver kam, wurde in beiderseitigem Einvernehmen nach der abgelaufenen Spielzeit nicht verlängert. Und gerade solche Äußerungen Iversons lieferten wohl mit den Grund dafür, warum der eigenwillige Star in der bisherigen Sommerpause herumgereicht wurde wie GM-Wagen auf dem Automarkt: Großer Name – aber haben will ihn niemand so recht. Über dauernde Anrufe transaktionswütiger Manager konnte Iverson keine Klagen anstimmen. So brachte sich der Doch-nicht-so-ganz-Geliebte selbst hier und da ins Gespräch: „Ich will in einer Situation sein, in der ich gewinnen und glücklich sein kann. Bei den Miami Heat, mit Coach Pat Riley und Dwyane Wade, sähe es diesbezüglich ganz gut aus“, machte der Guard dem Team aus dem Ferienstaat Avancen. „Bei Allen denkt man an einen der besten Spieler der Geschichte. Einer, der im passenden System immer noch Topleistungen bringen könnte“ flirtete Heat-Star Dwyane Wade zurück. Auch die Los Angeles Clippers, deren Gespräche mit Iverson als „sehr ernst“ eingestuft wurden, waren dann doch nicht an einer Verpflichtung interessiert.

Nun sind es die Charlotte Bobcats, die ihre Fühler nach dem für Liga-Verhältnisse zierlichen 1,83-Meter-Mann ausgestreckt haben. Beim Klub aus dem Süden würde er zudem wieder unter Trainer Larry Brown spielen, mit dem er bereits bei den Philadelphia 76ers sechs Jahre lang (1997–2003) zusammenarbeitete. Doch was fällt auf? Keines dieser Teams ist annähernd in die Kategorie „Spitzenmannschaft“ einzustufen – und wollte Iverson dann auch nur als „starken Ergänzungsspieler“ in den Kader holen.

Enttäuschend für die eigenen hohen Ansprüche des eigenwilligen und oft eigensinnigen Guards. Dass kein Titelkandidat angeklopft hat, liegt auch an wohl begründeten Bedenken: Wenn Iverson schon bei den erfahrenen Pistons nicht bereit war, die eigenen Interessen zurückzustellen, warum sollte er es bei einem anderen mit hungrigen Stars gespickten Team tun?“ So wird Allen Iverson im Falle einer Übereinkunft mit den Charlotte Bobcats vielleicht doch die ersehnte Hauptrolle ein letztes Mal spielen – auch auf Kosten der eigentlich angestrebten Siege.

DAVID DIGILI