VON DEN FREUDEN DER VERFRÜHTEN ÜBERWEISUNG, DEM SCHRECKEN DER KOLL-CENTER UND DEN GUTEN ALTEN ZEITEN BEI DER KSK
: Die Mühlen der Bürokratie

VON ULI HANNEMANN

Mein Überweisungsverhalten ist eher konservativ. So habe ich kaum Daueraufträge laufen, da ich modernem Teufelszeug nur recht bedingt vertraue. Kurz vor meiner Reise überweise ich die laufenden Kosten daher doppelt, darunter auch den Beitrag für die Künstlersozialkasse.

Von der liegen nach dem Urlaub zwei Schreiben im Poststapel. Das eine dokumentiert die Rücküberweisung des zu früh bezahlten Monatsbeitrags, das zweite mahnt drei Wochen später dessen fehlende Begleichung an. Plus Mahngebühren über einen Euro.

Ich spüre, wie sich das in meinen Adern angelagerte Cholesterin langsam in Cholerik umwandelt. Schon aus Prinzip will ich sofort dort anrufen. Doch als ich den Brief auf die gewohnte Nummer hin abscanne, finde ich an deren Stelle nur noch den Anschluss eines Koll-Centers. Kosten des Gesprächs: neun Cent in der Minute. Bei Anruf hätte also eine schlechtbezahlte und unterernährte Hilfskraft, die mit der KSK nicht das Geringste am Hut hat.

Denn gleichzeitig ist sie auch noch für Maggi, Vodafone, Beate Uhse, Kabeldeutschland, DHL, Vivantes-Kliniken, OBI sowie das Bundesministerium des Inneren zuständig, sie hätte exakt elf Minuten Zeit, auf dem Klavier eine Wartemelodie zu intonieren, eine ellenlange Begrüßungsformel abzuspulen, meine Frage anzuhören, zu verstehen, meine Daten aufzurufen und das Problem zu lösen, bevor ich mehr bezahlt haben werde als die Mahngebühr beträgt. Früher hätte man die Urheber dieser kriminellen Betrugsmasche noch für die Bildung räuberischer Banden schwuppswupps durchs Rad geflochten. Es war nicht alles schlecht.

Beim Gedanken daran werde ich noch cholerischer. Vielleicht sollte ich einfach mal einen Hunni auf den Kopf hauen, um dort stundenlang die Leute zusammenzubrüllen. Ach, wie schön waren noch die Zeiten, als man einfach in Wilhelmshaven anrufen konnte, wo sich die KSK in sicherer Entfernung zu ihrer Klientel verbirgt, die ja meist in Berlin oder anderen großen Städten wohnt. Stets hob am Ende der durchwegs unbelegten Leitung bereits vor dem Ertönen des ersten Freizeichens eine wunderbar grimmige und zugleich kompetente Dame ab. Während sie in Sekundenschnelle den Vorgang löste (Geburtsdatum und Adresse hatte sie auswendig im Kopf!), hörte man im Hintergrund durchs offene Fenster das Tuten der Schiffe, Kreischen der Möwen und betrunkene Grölen der entlassenen Werftarbeiter, Klänge, die sich exquisit in den überlegen schnarrenden Tonfall der Dame schmiegten. Stets hinterließ das Gespräch auf der Zunge einen Nachgeschmack von frisch gepultem Krabbenbrötchen mit etwas zu viel Remoulade, in der Nase den Geruch von Ferne und Seetang und im Ohr ein knappes „Auf Wiederhören“.

Im Koll-Center hingegen riecht es nur nach Angst. Wie Hühner in einer Legebatterie kauern die Mitarbeiter in winzigen Verschlägen und zittern vor den Anrufern, der inneren Kälte sowie der eigenen Inkompetenz. Am meisten jedoch zittern sie vorm Chef. Der sitzt auf einer Art Lichtung inmitten der Verschläge auf einem riesigen Thron, von wo aus er nach dem Zufallsprinzip die Gespräche „zur Qualitätssicherung“ mithört. Praktisch jeder der betroffenen Mitarbeiter wird auf der Stelle entlassen. Im Koll-Center braucht man täglich neue Leute.

„Und solche armen Menschen soll ich auch noch anschreien?“, denke ich nun. „Nein, lieber nicht.“

Die haben es ohnehin schon schwer genug. Klar, sind es dem äußeren Anschein nach zunächst sie, die Leid und Verderben verbreiten, doch ähnlich wie Kindersoldaten in einem grausamen Bürgerkrieg sind diese Geiseln des Spätkapitalismus eigentlich selbst nur Opfer. Dann zahl ich halt den Euro.