Im Raum der Ohnmacht

BALLHAUS NAUNYNSTRASSE Die Suche nach dem eigenen Ort treibt die Figuren der Theaterautorin Marianna Salzmann um – auch ohne migrantischen Hintergrund. Hakan Savas Mican inszeniert „Beg your pardon“

Maryam Zaree macht Thea zu einer ebenso zerbrechlichen wie eindringlichen Unbedingtheitsfanatikerin

VON ESTHER SLEVOGT

Die Idylle am Ende lässt das Blut in den Adern gefrieren. Mit penetranter, fast stählerner Glückseligkeit wirft die rothaarige Romantikerin Marwa dem Publikum Bilder vom Frühling und glücklichen Menschen auf städtischen Wiesen entgegen. Ihr Name spricht dafür, dass sie ägyptische Wurzel hat. Doch so wie Marleen Lohse sie in Hakan Savas Micans Uraufführung des neuen Stückes von Marianna Salzmann „Beg your pardon“ spielt, glaubt man eher, es mit einer erwachsen gewordenen Darstellerin aus einer Astrid-Lindgren-Verfilmung zu tun zu haben. Samt der zwanghaften Naivität, die diesen Figuren stets zu eigen war.

Zuvor haben wir im Laufe des Stückes erfahren, dass Marwa aus dem Land, in dem sie lebt, abgeschoben werden soll. Nun ist sie offenbar zurückgekehrt. Und hat an der Seite von Filip den Platz ihrer besten Freundin Thea eingenommen. Die hat Mann und Kind verlassen, weil ihr der bürgerliche Lebensentwurf in einer Welt, wo nicht alle Menschen frei entscheiden können, wo sie leben wollen, unerträglich schien.

Ausfransen ins Fantastische

So ungefähr könnte man den Grundkonflikt des neuen Stücks der jungen Dramatikerin Marianna Salzmann zusammenfassen, das aus kurzen Szenen besteht, die oberflächlich realistisch wirken, aber an den Rändern ins Fantastische ausfransen. Obwohl das Wort Konflikt nicht passt: weil Konflikte entstehen, wo fest Verortete miteinander um das Recht ihrer Positionen ringen. Doch wo es nur noch Entwurzelte gibt, geht das nicht mehr, hoffen die Figuren umsonst auf klärende Konfliktgewitter.

Das existenzielle Ringen um Verortung treibt auch in früheren Stücken Marianna Salzmanns die Figuren immer wieder um und an. Marianna Salzmann, die 1985 in Russland geboren und im Alter von zehn Jahren nach Deutschland gekommen ist, siedelt ihre Figuren stets in einer Welt an, deren analoge Ordnungen sich verflüssigt haben, und in der gesellschaftliche, nationale oder familiäre Bezüge ihre Integrationskraft verlieren. Das ist so in ihrem gefeierten Debütstück „Weißbrotmusik“ über ein jugendliches Vorstadttrio, in dem Salzmann in irrlichternden szenischen Skizzen einen fast poetischen Gegenblick zu medial aufgeblähten Geschichten von migrantischen Schlägern entwickelt (im Mai wieder im Theater Strahl). Oder in ihrem Stück, „Muttermale Fenster blau“, das die Suchbewegungen von Menschen verhandelt, deren Sehnsucht nach familiären Bezügen an biografischen und historischen Abgründen zu scheitern droht. Dafür erhielt sie den Kleistförderpreis.

Die Bezüge von Thea, der Protagonistin ihres nun im Ballhaus Naunynstraße uraufgeführtem Stücks, hingegen scheinen intakt zu sein. Thea hat einen interessanten Job (Journalistin), einen Mann, der sie bedingungslos liebt, und bald auch ein Kind. Aber die grundsätzliche Bezugslosigkeit der europäischen Gesellschaften, die Auflösung ihrer Werte-und Repräsentationssysteme hat offenbar auch für deren Ureinwohner die Bedingungen ihrer Lebensmöglichkeiten unterwandert. Obwohl sie eben für solche, die nicht zum angestammten Teil dieser Gesellschaften gehören, immer noch utopischen Glanz besitzen.

So läuft Thea davon, rückt Marwa an ihren Platz. Aber trotzdem bekommt keine, was sie will. Ist jede für sich schuldig geworden.

Regisseur Hakan Savas Mican hat das Oszillieren des Textes zwischen Albtraum und Wirklichkeit, inneren und äußeren Grenzen in einen Mix aus einer hölzernen, fast fernsehspielhaft realistischen Spielweise und magisch-kunstvolle Videoprojektionen (Katharina Wyss) übersetzt. Da gibt es ein Interview mit einem rechtspopulistischen Politiker, der für einen harten Einbürgerungstest eintritt und selbst Sohn eines eingewanderten Vaters ist. Es kommen harsche Beziehungsszenen und dann wieder Dialoge vor, die eher Traumspielcharakter haben. Darüber hinaus erwecken suggestive Videoprojektionen zwischendurch den Eindruck, dieses Drama einer globalisierten Ortlosigkeit finde lediglich im Kopf der Protagonistin Thea statt, die Maryam Zaree zu einer ebenso zerbrechlichen wie eindringlichen Unbedingtheitsfanatikerin macht.

Gelegentlich verliert sich der Abend in einer etwas angestaubten Kammerspielatmosphäre. Dann wieder glänzt er mit schauspielerischer Präzisionsarbeit. Insgesamt hätte man sich gewünscht, Inszenierung und Stück, das auch auf Interviews mit europäischen Rechtspopulisten und denjenigen basiert, die von der Verschärfung der Einwanderungsgesetze betroffen sind, hätten sich nicht so betont in einen Raum der Ohnmacht, sondern in den Raum des Handelns begeben.

■ Weitere Vorstellungen: 5. bis 8. Mai und 31. Mai bis 2. Juni, jeweils 20 Uhr im Ballhaus Naunynstraße