berliner szenen
: Vier Wände Neukölln, malträtiert

Vollbesetzter Waggon, 19 Stationen U7, stickig, eine Minute vor Ankunft am Rathaus Neukölln noch eine halbe Ewigkeit Stillstand im Stockdunkel. Dann: 48 qm, 578 warm. Ein Mann, Tätowierungen an den starken Waden, durchtätowiert auch die Arme, schwarze Klamotten, zeigt mir die Wohnung. Spricht vom Lärm der Kita, der Autos, der knallenden Türen: Die Neuen benutzen die Klinken nicht, sagt er. Die Alten sind alle weg, die Neuen rücksichtslos.

Er zeigt mir die Küche mit Terrazzoboden. Dann gehen wir ins einzige Zimmer, vorbei am Kabuff. Kammer?, frag ich, er murmelt: was die so Kammer nennen. Das Zimmer ist vollgestellt mit Fernseher, PC, Riesenbett und einem satt anschließenden Sofa. An den Wänden große, surreal viele Bohrlöcher. Wie Einschüsse, denk ich. Musik dröhnt. Er klagt wieder über den Lärm. Mannomann, denk ich – was für eine düstere, dystopische Atmosphäre. Abgedunkelte Fenster, schwarze Wände.

Würde er bitte den Fernseher kurz ausstellen, damit ich mal den Lärm draußen höre? Hätten Sie auch in der Küche machen können, meint er, doch ich beharre. Man hört die Straße, ja. Doch kann ich mich nicht besinnen. Wie ist die Wohnung an sich?

Ich habe mit der Präsenz des Mieters, seiner soghaften „Cloud“ zu kämpfen. Er weicht mir nicht von der Seite, als wolle er etwas verteidigen. Was könnte das sein, frag ich mich. Trennung? Kündigung? Er ist sauer, und nun macht er allen alles madig.

Er solle renovieren, Wände weiß, aber wieso? Es werden noch neue Fenster eingebaut, sagt er, und im Bad muss ich die Böden rausreißen, hab sie nicht gelegt, zwei Linoleumschichten, das ist Schikane, sagt er. Dann rette ich mich raus, setz mich auf eine Bank unten inmitten des Straßen- und Kita-Lärms und der schnüffelnden Hunde. Es ist eine Befreiung. Felix Primus