NORMALZEIT
: Clusterbildung im Problemkiez

Kulturelle Zusammenballungen allerorten

VON HELMUT HÖGE

Zwei neue „Industrien“ boomen in Berlin seit Abwicklung der alten: Tourismus und Kunst. Und beide neigen zur Clusterbildung, was meist um eine kapitalistische Industrieruine oder eine sonst wie abgewickelte, einst für die Ewigkeit (bzw. den Kommunismus) geschaffene Institution geschieht. Einer der ersten Cluster entstand gleich nach der Wende um den „Friseur in der Botschaft“, eine Immobilie in Mitte, vis-à-vis der nordkoreanischen Botschaft, die schon bald von Künstlern, Filmern, DJs und „Aktivisten“ bespielt wurde.

Ich erinnere mich noch an eine Ausstellung dort über Herzschrittmacher aus aller Welt und an eine über die heute noch gehandelte Aktie der 1945 liquidierten „IG Farben“, sowie an eine Veranstaltung der Arbeiter des Gerätebatteriewerks BAE/Belfa Oberschöneweide, die sich gegen die Abwicklung ihrer Fabrik durch die Treuhand wehrten. Dort, im Industriegebiet Oberschöneweide, entstand vor einigen Jahren in den Immobilien der inzwischen abgewickelten Großbetriebe am Spreeufer ein neuer Kunst-Cluster – von geradezu gigantischen Ausmaßen. Dazu gehören eine Technik-Hochschule, ein Technikmuseum und ein „Industrie-Salon“.

Das „Tacheles“ kann man als Cluster in Abwicklung bezeichnen, anderswo gibt es Cluster in situ: In der ehemaligen Akademie der Wissenschaft zum Beispiel – einem riesigen Ensemble zwischen Pankow und Weißensee, mit zig leerstehenden Etagen. Aber was sich dort unter Umständen entwickeln könnte, wird anderswo bereits von sogenannten Investoren absichtsvoll geplant: So wurde zum Beispiel aus dem einstigen Kleingewerbecluster hinter der taz, zwischen Charlotten- und Markgrafenstraße, ein veritabler Galerie-Cluster entwickelt, einige der dort Domizilierten sprechen gar von einem „Kreativ-Zentrum“.

Ein solches hatten auch die Immobilienverwalter der einstigen „Wanderer-Werke“ in der heutigen Dutschke-Straße im Sinn, als sie der taz die Räume für ihr Archiv kündigten, um dort einen „Galerie-Cluster“ zu etablieren. Infolge der Finanzkrise mussten sie zwar einige herbe Rückschläge hinnehmen, aber inzwischen hat sich dort das Edelrestaurant eines Sterne-Kochs „niedergelassen“. Dessen Gäste fahren nicht selten in Regierungslimousinen vor, die dann die raren Parkplätze vor dem taz-Café blockieren. Diesen Besuchern des Clusters geht es nicht um Bild-, sondern um Kochkunst.

Ein in den Achtzigerjahren entstandener Ost-Cluster hat sich um die Prenzlauer-Berg-Boheme-Kneipe „Rumbalotte“ (wieder-)gebildet. Dazu gehören die „Staatsgalerie“ und die „Luxus“-Bar. Der Vorläufer der Rumbalotte, die Kneipe „Torpedokäfer“ in der Dunckerstraße, hatte es nach der Wende zu einem eigenen FAZ-Korrespondenten gebracht. Inzwischen macht man sich die Presse selbst: insgesamt sind es vier Zeitschriften, die in der „Rumbalotte“ redigiert werden.

Ohne Zweifel ist das Kreuzberger Pendant zu dem Ost-Cluster – der „Mehringhof“ mit seiner Kneipe „Clash“ – politischer. Genau das macht aber inzwischen auch seine Lieblosigkeit aus. Neuerdings versucht man dem Wedding neue Künstler-Galerie-Cluster zu implantieren – im „Problemkiez Soldinerstraße“ etwa. Von unten gibt es dort schon seit Jahren den Kunst-und-Kultur-Cluster „Ex-Rotaprintfabrik“, wo die Redaktion des Magazins Der Wedding ihre Räume hat.

Immobilien sind für solche Cluster anscheinend unabdingbar. Mitunter sind erst die Räume da, dann die „Projektidee“. Gelegentlich tut es auch eine temporäre Unterkunft: So kam der Kunst-Wissenschafts-Cluster „Tesla“ z. B. einige Jahre lang im „Podewil“ in der Klosterstraße unter, wobei er von dort auch noch finanziert wurde.

Genaugenommen neigt jedes Kunst- bzw. Kultur-„Projekt“ zur Clusterbildung, was nicht zuletzt mit der Spezialisierung zusammenhängt. So bildet sich z. B. um „Fluxus“-Galerien, Off-Theaterbühnen und Filmmagazine wie „Revolver“ quasi automatisch eine „Scene“, aus der sich dann, so Gott will, bald verwandte Projekte herauskristallisieren. Alle Kunst- und Kulturcluster Berlins zu kennen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Man spricht von allein 2.000 Galerien, daneben planen immer mehr Investoren gleich ganze Kunst-Cluster – genauso wie „Ärztehäuser“, die sich ebenfalls großer Beliebtheit unter den Immobilienspekulanten erfreuen.