Dem Export-Weltmeister droht der Titelverlust

EXPORTE China verkaufte im ersten Halbjahr 2009 erstmals mehr Waren ins Ausland als Deutschland

BERLIN taz | Auf den Titel „Exportweltmeister“ sind die Deutschen stolz – nun scheint er gefährdet. Erstmals verkaufte China mehr Waren ins Ausland als die Bundesrepublik. Das haben Berechnungen der Welthandelsorganisation WTO für die ersten sechs Monate des Jahres ergeben. Neben der Krise, die die exportorientierte deutsche Wirtschaft besonders hart trifft, ist dies ein weiteres Signal, dass das bisherige ökonomische Erfolgsmodell ins Wanken geraten und eine Neuorientierung notwendig werden könnte.

Die chinesischen Unternehmen belieferten den Weltmarkt von Januar bis Juni 2009 mit Waren im Wert von 521,7 Milliarden Dollar (365 Milliarden Euro). Deutschland exportierte im gleichen Zeitraum Güter und Dienstleistungen für 521,6 Milliarden Dollar. Der chinesische Vorsprung sei minimal, sagte WTO-Chefvolkswirt Patrick Low. Auch lasse sich gegenwärtig nicht sagen, wer am Ende des Jahres die Nase vorn habe. Weil Chinas weltmarktorientierte Wirtschaft aber schon seit Jahren viel stärker wächst, dürfte Deutschland seinen Spitzenplatz mittelfristig in jedem Fall einbüßen.

2008 erzielten deutsche Firmen Einnahmen von 993 Milliarden Euro, indem sie Autos, Maschinen und andere Waren ins Ausland verkauften. Über 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wurden im Export erwirtschaftet. Das Kopf-an-Kopf-Rennen mit China ist nun einer von mehreren Hinweisen auf die Probleme der gegenwärtigen Exportorientierung. So muss Deutschland durch den Einbruch der Weltmärkte besonders starke Einbußen verkraften. 2009 könnte die Wirtschaftsleistung um bis zu 6 Prozent sinken.

Eine „Abkehr von der Exportstrategie“ fordert nun der Ökonom Gustav Adolf Horn, der das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie (IMK) leitet. Denn der hohe deutsche Exportanteil fördere die Verschuldung beispielsweise in den USA und bilde damit eine Ursache der Finanzkrise, so Horn.

Christian Dreger, der Abteilungsleiter für Konjunktur beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), sagt, angesichts der zunehmenden chinesischen Exporte müsse man sich nicht sorgen. China verkaufe vornehmlich Konsumgüter wie Textilien und Unterhaltungselektronik. Deutschland bediene dagegen einen anderen Markt, indem es seinen hohen Exportüberschuss in erster Linie mit Investitionsgütern wie Maschinen erziele. Die ökonomische Stellung der bundesrepublikanischen Firmen und des deutschen Wohlstandsmodells sei durch das chinesische Wachstum deshalb vorläufig kaum gefährdet, sagt Dreger. HANNES KOCH