Uli Hannemann Liebling der Massen: Das rechte Brot, und zwar von uns aus gesehen
Der Backstand bei, ich sachma, Tengelmann steht verwaist. Nach einer Weile rufe ich halblaut und altersgerecht: „Palim, palim!“ Danach dauert es immer noch, bis endlich – puff! – wie in so einem Weltraummärchen auf einmal die Verkäuferin strahlend mitten in ihrem Verkaufsraum steht. Kann losgehen.
Hinter ihr im Baguetteregal stehen zwei längliche Brote. Ein längeres weißes und ein kurzes, breites, dunkles. Genau das hätte ich gern: „Das dunkle Brot da oben, bitte, das rechte.“
Seltsam unentschlossen hampelt sie vor dem Regal herum. Es sind übrigens wirklich nur zwei Brote; alles, was ich schreibe, dokumentiert stets zu hundert Prozent die Realität – ich bin ja nicht Claas Relotius. Der hätte wahrscheinlich drei Ciabattas mit Einschusslöchern draus gemacht, aus dem Regal einen Schrank, aus Tengelmann Kaiser’s, und über die Verkäuferin hätte er geschrieben: „Vor dem Brotregal steht eine Frau mit zerfurchter Haut und aufgerissenen Augen, wie eine Grimasse.“
Dabei ist an ihr überhaupt nichts Besonderes, außer dass es sie augenscheinlich überfordert, mir das gewünschte Brot zu geben. „Das hier?“ Sie zeigt auf das linke. Das klassische Weißbrot.
„Nee: rechts“, sage ich, „und zwar von uns aus gesehen.“ Das füge ich nur für den in meinen Augen eher unwahrscheinlichen Fall hinzu, dass sie sich derart mit dem Regal identifiziert, dass sie alles komplett von seiner Warte aus betrachtet: „Ich bin ein schönes Brotregal, li la lei, in mir stehen braun und weiß der langen Brote zwei. Ein Kunde will das rechte Brot, das geb ich ihm geschwind, denn ich bin äußerst hilfsbereit, wie wir Regale sind.“
Oder so ähnlich, vielleicht auch ungereimt. Ja, je mehr ich darüber nachdenke, desto ungereimter kommt mir das Ganze auch vor. „Das Kürzere“, präzisiere ich. „Das Dunkle.“
„Sag das do’ gleich“, sagt sie. „Wär besser jewesen, du hättest jesacht, das Dunkle. Ick hab do’ ne Rechts-links-Schwäche.“
Dass sie eine Rechts-links-Schwäche hat, habe ich bereits geahnt: Im Eingangsbereich des Ladens hatte mal ein wütender Afrikaner erregt herumgeschrien, und sie hat irgendwie ungut reagiert. Ich erinnere mich nicht mehr detailliert an ihre Wortwahl; in mir ist von damals nur so ein diffus madiges Gefühl hängengeblieben, und seitdem vermute ich, dass sie zumindest eine Schwäche für rechts hat.
Sie nimmt nun das richtige Brot vom Regal und versucht das klobige, kompakte kleine Brot in eine viel zu enge Baguettetüte zu stopfen. Das hat etwas davon, einer ächzenden Person vor dem Spiegel bei der Anprobe unglücklich gewählter Kleidung zuzusehen. Am Ende schafft sie es wider Erwarten. Der stramme Brotbube steckt wie Presswurst in seinen zu engen Leggings, und sie triumphiert: „Sarick dir doch: das funktionuckelt.“
Das war mir im Übrigen auch schon aufgefallen: Sie duzt ungefragt die Stammkunden. Bei einigen kommt das auch gut an. Mir selbst ist es so ein bisschen egal. Ich stutze zwar jedes Mal, doch die immanente Feindseligkeit, die ein ausdrückliches Verwehren gegen das Du verströmt, ist mir in der Regel zu grausam. Ich denke, die Frau tut das, um einerseits eine vertraute und lockere Atmosphäre zu kreieren – das scheint jedenfalls sie zu glauben –, und andererseits von ihrer mutmaßlich rechten Gesinnung abzulenken.
Ohnehin habe ich Leute, die „funktionuckelt“ sagen, „schittebön“, „zum Bleistift“ oder „ich kenne doch meine Pappeimer“, grundsätzlich als unberechenbare Risiken für ein friedliches Zusammenleben auf diesem Planeten abgespeichert. In ihrem Fall vervollständigt sich hier durchaus ein Bild – das ist wie Malen nach Zahlen von 18 bis 88.
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