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Frauen leiden anders

Mit der Uraufführung von Patty Kim Hamiltons „Schmerz Camp“ erkundet das Theater Bremen das Krankheitsbild „chronische Schmerzen“. Es therapiert sie leider mit Ursuppe

Das Stück „Schmerz-Camp“ untersucht theatral Rituale des Untersuchens Foto: Jörg Landsberg/Theater Bremen

Von Jan-Paul Koopmann

Wie sie sich da hingestreckt haben, lässt eher an Strand denken, als an Krankenhaus: im Bademantel auf der Liege, mit der dringenden ärztlichen Anweisung, sich jetzt endlich mal zu entspannen und bei den Übungen mitzumachen, bitteschön. Und natürlich tun sie das auch, meistens, obwohl hier keine mehr so wirklich an Heilung glauben kann – und zwischendurch quälende Fragen an die Oberfläche drängen: wie lebenswert ein Leben unter Schmerzen ist, zum Beispiel. Oder ob der Mann es zu Hause hinbekommt, die vorgekochte Bolo­gnese aufzutauen. Denn chronische Schmerzen sind, genau wie die Care-Arbeit, eine Angelegenheit weiblicher Körper.

Zur Uraufführung von Patty Kim Hamiltons „Schmerz Camp“ wird das Bremer Theater unter Regie von Christiane Pohle zur Klinik. Die medizinische Fachrichtung bleibt unklar. Aber das ist folgerichtig: Auch das Krankheitsbild „chronische Schmerzen“ ist diffus und die Wissenschaft rätselt noch daran herum. Aber eine „Expertenklinik“ ist es, eine „weltberühmte“. Für manche der seit Jahren chronisch schmerzgeplagten Patientinnen liegt hier die letzte Hoffnung zwischen Massagen und Meditation, zwischen progressiver Muskelrelaxation und Kunsttherapie.

Von Ärzten und Ärztinnen ist hier nicht viel zu sehen. Sie sprechen meist aus einem Lautsprecher am Bühnenrand: Wie’s heute so gehe und ob man in akuten Schmerzphasen über Suizid nachdenke – bitte nur „ja“ oder „nein“, damit es in den Fragebogen passt. Ja, sie ist scheußlich, die Empathielosigkeit des klinischen Blicks. Gerade da, wo er um Exaktheit bemüht ist: Sind die Schmerzen „stechend, ja oder nein?“ „– glühend?“ „– brennend?“, „– pochend?“, „– klopfend?“, „ – ziehend?“

Schon dem Runterrattern der Fragen zuzuhören, ist unangenehm. Vor allem, weil hier sehr schnell deutlich wird, dass der detailfreudigen Anamnese keine passgenaue Therapie entspricht. Auch das Fachpersonal hat keine Ahnung, wo die Schmerzen herkommen, geschweige denn, was dagegen zu tun wäre. Und weil die Aussicht auf Heilung in weiter Ferne scheint, ist umso mehr von Hoffnung die Rede – sowie von den Abrechnungsmodalitäten der Krankenkasse.

Die Kliniktage sind dröge, die Aussichten trist: Eindrücke, die der Theaterabend in endlosen Wiederholungen und apathischen Gesprächsfragmenten genau so auch ans Publikum durchdrückt. Großen Spaß macht immerhin die Bühne: Anton von Bredow hat eine zerklüftete Landschaft ins Kleine Haus gezaubert, die zwischen Maschendrahtzaun und Waldtapete fließend übergeht von Spa zu Klinik zu Zoo zu Knast zu Urlaubsparadies für kleines Geld. Aus einem überlaufenden Waschbecken im Hintergrund ergießt sich ein scheinbar endloser Blutstrom in einen Graben, an dem die Liegen der Patientinnen aufgereiht stehen.

Was Christiane Pohles Zugriff auf Hamiltons engagierten Text mit verblüffender Selbstverständlichkeit gelingt, ist es, diese groteske Klinik bei aller Freude am Spezifischen immer auch Metapher für das medizinische System bleiben zu lassen. Denn es stimmt ja, dass ganz besonders Frauen um Diagnosen kämpfen müssen, weil Ärzte Schmerzen leicht abtun und die Forschung sich nach wie vor am männlichen Normkörper abarbeitet. Ob nicht wenigstens die Tierversuche mal an weiblichen Ratten durchgeführt werden könnten, fragt eine Patientin im „Schmerz Camp“ – und ein Hauch von Rebellion weht durch die Klinik.

Am Ende aber tappt der Abend dann aber doch in die selbst gestellte Falle. Die doppelte Totalität von Schmerzerfahrung und der Institution Klinik kennt kein Außen, nicht mal eine Zukunft, keine Geschichte – und keine Handlung. Ja, die klinische Gleichmacherei der Figuren ist stimmig. Doch macht es nicht unbedingt interessantes Theater, wenn zwischen Frau X, Frau K, Frau Sonnenschein kein Blatt passt und den Schauspielerinnen höchstens Nuancen auszuspielen bleiben.

So komplex die Fragen, die der Text überdeutlich vor sich herträgt, so einfach sind seine Antworten

Was bleibt, ist der Diskurs. Aber auch politisch wird es fahrig, wo der Text es aufgibt, die hilflosen von den ignoranten oder böswilligen Lösungsansätzen der Wissenschaft zu unterscheiden. Gendermedizin, Sterbehilfe, Gesundheit als soziale Frage: So überdeutlich der Text komplexe Fragen vor sich herträgt, so verblüffend einfach macht er es sich mit den Antworten, denunziert das medizinische Personal als unfähig – und beschwört spätestens in den immer wieder eingestreuten Traumvideos von Laura Weissenberger und Anna-Sofie Lugmeier eine mystische-weibliche Gegenidentität in triphaften Bildern: mit viel Wasser, Morast, Loops, Überblenden und irgendwie unbestimmt Organischem.

Kein Zweifel: Solange Patriarchat und Kapital die Ziele abstecken, ist vom Gesundheitswesen keine Heilung der Welt zu erwarten, und wenn es noch so tapfer rumforscht. Es aber eben einfach so besser zu wissen und irgendwelche Wahrheiten aus der Ursuppe zu fischen, ist allerdings auch keine überzeugende Vorstellung: Nur danach aber fühlt sich die Rebellion im „Schmerz Camp“ an.

Schauspiel: Patty Kim Hamilton, „Schmerz Camp“ (UA), Theater Bremen, Kleines Haus. Nächste Aufführungen am 30. 11., 21. 12. und 26. 1., jeweils 20 Uhr, sowie am 14. 1., 18.30 Uhr

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