berliner szenen: Die widerwillige Verkäuferin
Gestern war ich auf der Geburtstagsparty von einer Bäckerei eingeladen, bei der ich vor sieben Jahren brotjobbte. „Ob die mich überhaupt noch erkennen?“, schoss es mir durch den Kopf. Immerhin war ich da noch Ende zwanzig. Ich nahm vorsichtshalber eine Freundin mit, die einen Tag zuvor 38 Jahre alt geworden war. Wir trugen schickere Klamotten als sonst. Meine Freundin ein Kleid und ich einen langen Rock mit Top.
Bevor wir zur Party gingen, bummelten wir ein wenig durch Schöneberg. Wir aßen ein Eis und besuchten einen Eckladen am Anfang der Goltzstraße. Uns gefiel eine Bomberjacke. Meine Freundin zog sie an. Da wir sie beide zu groß fanden, fragten wir nach einer Nummer kleiner. Die Verkäuferin musterte uns von oben bis unten, meinte: „Ihr braucht keine Nummer kleiner. Ihr seid doch keine 34.“ Und dann, mit Blick auf meine Freundin: „Und auch keine 36.“ Mir fiel fast die Kinnlade runter. Trotzdem versuchte ich einigermaßen nett zu bleiben: „Wir würden sie aber gerne mal anprobieren.“ Widerwillig kramte die Verkäuferin die kleinere Jacke hervor und folgte uns bis zur Umkleide. Zu meiner Freundin sagte sie: „Nee, nee, viel zu klein. Die ist ja nicht tailliert geschnitten, sondern oversized.“ Als ob wir keinen Kartoffelsack von einem Neoprenanzug unterscheiden könnten. Als ich die Jacke anprobierte, meinte sie: „Bei dir geht sie schon besser. Aber ihr seid beide nicht der Typ dafür.“ – „Bitte was?“, fragten wir. „Na ja, die ist mehr was für Hipster, die Jeans und Sneaker tragen. Aber ich hab da was für euch.“ Die Verkäuferin zeigte uns eine Jacke, die an Spießigkeit kaum zu übertreffen war – so alt kann man doch gar nicht sein?
Auf der Party steuerten wir direkt die Bar an. Später las ich eine Google-Rezension von dem Laden: „Sehr unangenehme Besitzerin“.
Eva Müller-Foell
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen