Erinnerung ohne Brüche

„Antonio Negri – Eine Revolte, die nicht endet“, ein Dokumentarfilm von Andreas Pichler und Alexandra Weltz, ist dem Charme eines eleganten älteren Herrn erlegen

Antonio Negri, Toni gerufen, ist reich an politischer Erfahrung. Der italienische Philosoph, Politiker und Agitator wird in aller Welt geliebt. Sein Buch „Empire“, das er zusammen mit Michael Hardt schrieb, wurde zum Bestseller, der Begriff „Empire“ unter Globalisierungskritikern zum geflügelten Wort.

Das kommt nicht von ungefähr – dem Buch „Empire“ ging ein Ruf voraus, der, zumindest in linken Kreisen, ein außerordentlicher ist. Negri nämlich war neben seiner Universitätstätigkeit in den 60er- und 70er-Jahren auch ein Arbeiterkämpfer. Als aus den Arbeitskämpfen in den Turiner Fiat-Werken plötzlich eine soziale Bewegung erwuchs, war es Negri mit seiner Operaisten-Gruppe, die besonders breiten Zuspruch erlebte. Die Operaisten kämpften gegen die Arbeit selbst und nicht nur für bessere Löhne. Dies war auch für Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten unerhört.

Zugleich verschärfte sich das Klima in Italien, die Polizei griff zu eskalierenden Maßnahmen, die Roten Brigaden formierten sich. Aldo Moro, ein christdemokratischer Politiker, wurde ermordet und Negri für seinen Mord verantwortlich gemacht. Als er Anfang der 80er-Jahre aus der Untersuchungshaft heraus zum Abgeordneten gewählt wurde und Immunität genoss, ihm diese jedoch wieder aberkannt werden sollte, flüchtete er nach Frankreich. Dort wandte er sich vom Marxismus ab. 1997 kehrte er nach Italien zurück. Noch am Flughafen wurde er verhaftet, musste eine kurze Haftstrafe als Freigänger absitzen und konnte dann, endlich, den Weltruhm genießen, den er sich mit „Empire“ und dem Nachfolgebuch „Multitude“ erschrieben hatte.

Diese Geschichte erzählt der Dokumentarfilm „Antonio Negri – Eine Revolte, die nicht endet“, der nun, nach seiner Fernsehaufführung, doch noch in einige Kinos kommt. Die Regisseure Andreas Pichler und Alexandra Weltz haben Negri und Hardt über Monate verfolgt, haben Genossinnen und Genossen gesprochen und den Film mit alten Aufnahmen angereichert. Allerdings sind sie bis zu einem gewissen Grad auch dem Charme Negris erlegen, einem eleganten älteren Herrn, der aber auch über die Maßen eitel ist.

Er sei nicht verrückt geworden, erzählt Negri stolz, trotz Exil, trotz Haft, trotz all der Vorwürfe vonseiten der Linken, die in ihm einen Verräter sehen wollten, als er etwa den Terror der Roten Brigaden nicht guthieß. Das mag stimmen, so wie es auch stimmen mag, dass die Brigaden ihn im Gefängnis ihrerseits „zum Tode“ verurteilten, da er ihnen – in internen Gesprächen – die Gefolgschaft verweigert habe. Dass allerdings derjenige Brigadist, der seinerzeit das Wort führte, nun der schlimmste Renegat sei, ist nicht nur eine Übertreibung eines gekränkten Linken, nein, Negri betont stets auch, wie sehr er sich treu geblieben sei. Überhaupt erinnert er seine Geschichte ohne Brüche, Negri bereut nichts, ändert nichts, lernt nur dazu. Leider folgt ihm der Film dabei kritiklos, diejenigen ExgenossInnen, die Negri heute verdammen, kommen nicht zu Wort, diejenigen, die heute seinen Thesen nicht folgen wollen, auch nicht. Zu Beginn des Films zeigt Negri ein Foto: Es zeigt ihn vor 25 Jahren, wütend, entschlossen, hinter Gittern. „So sehe ich mich“, sagt er. Damit prägt er die Filmerzählung. JÖRG SUNDERMEIER

„Antonio Negri – Eine Revolte, die nicht endet“. Regie: Andreas Pichler und Alexandra Weltz, Deutschland 2004, 52 Min., Termine im Programm