Nächster Halt: Arbeitskampf

Die Entscheidung über einen unbefristeten Streik bei der BVG rückt näher. Gewerkschaft wie Senat haben sich in eine Sackgasse manövriert. Warum sie sich mit einer vernünftigen Lösung so schwer tun

VON ULRICH SCHULTE

Steuert die BVG auf einen unbefristeten Streik ihrer Beschäftigten zu? Um den 22. Juni könnte endgültig die Entscheidung fallen. Dann tagt der Aufsichtsrat der Verkehrsbetriebe unter Vorsitz des Finanzsenators. „Wenn Thilo Sarrazin dann noch an Provokationen wie dem Austritt aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband festhält, kommt es zeitnah zu Aktionen“, sagte Frank Bäsler von der Gewerkschaft Ver.di gestern der taz.

Dass die BVG-Beschäftigten zuvor, auf der Urabstimmung vom 14. bis 16. Juni, für den Arbeitskampf votieren, gilt als so gut wie sicher. Die Gewerkschaftsbasis steht fest hinter den Funktionären, auch und gerade hinter dem harten Konfrontationskurs. Bäsler hofft jetzt, dass ein klares Abstimmungsergebnis „der Verhandlungsbereitschaft des Senats noch einmal einen Schub geben könnte“.

Ob dem so sein wird, sei dahingestellt. In der BVG mehren sich jedenfalls die Vorbehalte gegen einen unbefristeten Streik. Die Skeptiker fürchten, dass ein mehrwöchiger Ausstand zu Brüchen in der Belegschaft führt. Viele müssten gezwungenermaßen mitstreiken, aber auf ein Ersatzgehalt aus der Ver.di-Kasse verzichten, zum Beispiel Fahrer der Tochterfirma Berlin Transport oder Kontrolleure. Außerdem beginnen am 23. Juni die Sommerferien. Ein Streik verlöre beträchtlich an Stoßkraft, wenn halb Berlin im Urlaub ist. Und wie geschähe es der BVG, wenn die BerlinerInnen merkten, dass es auch ohne Verkehrsbetriebe geht?

Wie sich beide Parteien, Gewerkschaft auf der einen, Finanzsenator samt Amtskollegen auf der anderen Seite, einigen könnten, ist nach derzeitigem Stand der Dinge Spekulation. Denn beide haben sich in eine Sackgasse manövriert. Zum einen geht es um ein Lohnverzichtspaket, das Ver.di schon im Januar mit dem KAV geschnürt hat und den Beschäftigten einiges zumutet (siehe Kasten). Es ist nicht endgültig unterzeichnet. Gewerkschaft wie Sarrazin jonglieren dabei mit eigenen Einsparrechnungen. „Anscheinend ist es Taktik, dass man sich nicht auf gemeinsame Zahlen einigt“, sagt Christian Gaebler, der verkehrspolitische Sprecher der SPD.

Doch hier ließen sich die Verhandlungen am ehesten wieder flottkriegen. Richtig festgefahren sind sie aber bei den Bedingungen, die Ver.di an den Lohnverzicht knüpft. Dies sind im Einzelnen: die Übernahme der Azubis, der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, der Verzicht auf Neu- und Ausgründungen, eine Obergrenze für die Fremdvergabequote, der Beibehalt der Rechtsform Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR), die Gültigkeit des Tarifvertrags für alle Verkehrsausschreibungen und – last, but not least – eine Laufzeit bis 2015.

Einige davon entsprechen sowieso dem Status quo. Kaum einem BVGler kann etwa gekündigt werden, abgesehen von rund 400 nach 1995 eingestellten, meist jüngeren Leuten: „Dies wäre kein Zugeständnis des Senats“, sagt Ver.di-Mann Frank Bäsler.

Diesem Ansinnen, ebenso wie der Forderung nach einer Zukunft für Azubis, könnte sich Rot-Rot kaum verwehren. Andere aber, etwa der Verzicht auf Tochterfirmen oder die Frage der Fremdvergabequote, finden im Senat kein Verständnis. SPD-Verkehrsexperte Gaebler sieht das ähnlich: „Das Unternehmen darf am Markt nicht völlig eingeschränkt werden, es muss handlungsfähig bleiben.“ Das Argument zielt auf das Jahr 2008. Von da an muss der Senat Nahverkehrsleistungen ausschreiben, könnte aber auch die BVG vorziehen – wenn sie fit genug ist.

Für Ver.di sind die beiden Punkte laut Bäsler nicht verhandelbar. „Beim Abschluss eines Tarifvertrags muss es für die Beschäftigten die Sicherheit geben, dass ihr Betrieb nicht zugemacht wird. Sonst wird es doch absurd.“ Viele BVG-Beschäftigte treibt die Angst vor der Zerschlagung des Betriebs um. Anders ist das Absurdum, dass sie für weniger Geld auf die Straße gehen, nicht zu erklären. Auch wenn es durchaus einige gibt, „die fragen, warum wir nicht für mehr Lohn streiken“, sagt ein Gewerkschafter. Für den Berliner Busfahrer ist Brüssel mit seinen wettbewerbsrechtlichen Richtlinien sehr weit weg – völlig zu Recht.