Der moderne Mann

Seit neun Monaten ist Giovanni di Lorenzo Chefredakteur der „Zeit“ und kümmert sich um Jugend und Frauen. Für die Politik sollen andere sorgen

AUS HAMBURG SILKE BURMESTER

Nein, nein, nein, er ist kein Feminist. Diese plakativ-provokante Zuordnung weist er innerhalb von sieben Tagen zweimal von sich – wahrscheinlich ist das Leben schon schwer genug, wenn man nicht höher gewachsen ist als die meisten Frauen, die größte Wirkung erzielt, wenn das dunkle, wellige Haar zu lang ist, um archaische Kerligkeit zu symbolisieren und man durch 16 Jahre charmant-kluger Fernsehpräsenz den Eindruck erarbeitet hat, ein Frauenversteher zu sein.

Aber was ist ein Mann, der ein Podium mit der Äußerung von Bedauern eröffnet, dass hier keine Frau sitzt? Der dasselbe Podium beendet mit der Aussage, er werde nächstes Jahr die Veranstaltung nur dann leiten, wenn wenigstens eine Frau dabei ist? Der den Umstand, dass Zeitungen die weibliche Leserschaft vernachlässigen, so ernsthaft formuliert, als könne man ihm die Schuld an der Masern-Epidemie in Bayern geben? Und der seinen Einstieg bei „Die Zeit“ kommentiert wie ein Neuankömmling in einem englischen Herrenclub zu Beginn des letzten Jahrhunderts: „Es war komisch, so etwas Frauenfreies zu erleben.“

Giovanni di Lorenzo zeigt sich auf der Pressekonferenz in Hamburg zufrieden. Auch wenn er weiß, dass die Auflagenentwicklung der Zeit, von 471.700 im zweiten Quartal 2004 zu 480.000 im zweiten Quartal 2005, vor allem ein Verdienst seiner Vorgänger ist, so verkörpert er den Wandel der Zeit perfekt. Sie mutet einladender an und ist näher an den Bedürfnissen einer neuen Klientel nach Farbe, Abwechslung und Schwung.

Die Änderungen, die di Lorenzo seit seinem Antritt als Chefredakteur vor neun Monaten vornimmt, sollen vor allem junge Leser an das Blatt binden. So wird das Ressort „Leben“ nun selbst reanimiert: Von der Aufhebung der „eine Geschichte – eine Seite“-Doktrin erhofft sich di Lorenzo mehr Lebendigkeit. Hinter der Absicht, den „Länderspiegel“ und die „Spaziergänge“ wieder ins Blatt zu heben, ebenso Kolumnen zu etablieren, wie die eines Rentners über sein Dasein, steht das Bemühen, der Schwere und Abgehobenheit von Politik und Wirtschaft Lebendigkeit und vor allem Realitätsnähe entgegenzustellen. Mehr Lesernähe soll auch das junge und zum Teil weibliche Personal bringen, das er verpflichtet hat. Den redaktionsinternen Vorwurf, es sei nicht klar, auf welcher politischen Linie di Lorenzo die Zeit verorten will, „nehme ich als Kompliment“, und er verweist auf die beiden Herausgeber, die durch ihre Veröffentlichungen für den debattierfähigen Kurs des Blatts sorgen. Der 46-Jährige selbst sieht seine erste Aufgabe darin, die „Verantwortung für die Frage zu übernehmen: Wie bleibt die Zeitung attraktiv?“ Seine zweite ist eine journalistische. Es ist die Frage: „Was will die Generation, die an allen Stellen nachrückt?“ Gemeint sind die etwa 40-Jährigen, die die alten Entscheidungsträger ablösen. Dabei geht es dem Medien-Allrounder nicht um eine eitle Nabelschau, wie sie gerade diese Generation so öffentlichkeitswirksam inszeniert. Ihm, dem Kommunikationswissenschaftler, der auch Neuere Geschichte und Politik studiert hat, geht es darum, die Prozesse zu begleiten, die diejenigen in Gang setzen, „die eine riesige Wut auf die 68er haben“.

Hinter dieser Absicht liegt die Ahnung, dass, sollten Merkel & Co scheitern, sich das Modell der Demokratie für viele als ausgedient darstellen wird. Giovanni di Lorenzo hat die Wut derer, die ihre Eltern und Großeltern zu Unrecht angeklagt fühlen, nicht. Überhaupt scheint der Sohn einer Psychotherapeutin frei von vielem, was Männer um ihrer Männlichkeit willen inszenieren müssen. Ein Gutmensch ist er, der autokratisch sein kann, wenn es um die Umsetzung seiner Ideen geht, damit noch lange nicht. Aber ein Hoffnungsträger für die Idee, dass das Patriarchat biologisch abbaubar ist.