BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE
: Einbeinig auf der Waage stehen

Pünktlich zum Sommer befiel auch mich die Gewichtsparanoia. Bis eine neue Freundschaft alles veränderte

Die Westwand ist gar nicht so einfach. Pit hat heute Probleme, nach oben zu kommen. Das kommt davon, wenn man mit dem Rauchen aufgehört und das Gewicht die 90-Kilo-Marke überschritten hat. „Achte mehr auf die Tritte“, ruft Thomas, er sichert Pit von unten am Seil. Die Männer ackern. Feli und ich aber liegen in der Abendsonne auf der Bank am Kletterturm im Grunewald.

Ich füttere uns mit Keksen, die zu 37 Prozent aus Vollmilchschokolade bestehen. Feli liebt diese Sorte. Wir haben noch mehr gemeinsam. Die Freundschaft hat mir neues Selbstbewusstsein gegeben, um mal einen abgenudelten Begriff zu verwenden.

Oben in der Westwand tastet Pit an einem Riss herum. „Häng dich seitlich rein und arbeite mit Gegendruck“, rät Thomas. Manchmal kann man das eigene Gewicht positiv einsetzen, um höher zu gelangen. Pit greift in den Riss und zieht sich fluchend nach oben. Ich kann seinen Unmut verstehen. Auch ich hatte bis vor kurzem ein schlechtes Verhältnis zu meinen „Pfunden“, wie sie Frauenmagazine immer nennen. Ich weiß noch genau, wie ich plötzlich anfing, mich zweimal täglich im Bad zu wiegen, dabei ängstlich auf den Zeiger starrte, der bei einer immer höheren Marke stehen blieb. Das typische Phänomen der mittleren Jahre. Zum Sommer hin verstärkte sich meine Gewichtsparanoia. Schließlich trug ich die Waage in den Keller, was mich nicht davon abhielt, weiterhin alle zwei Tage nach meinem Gewicht zu sehen. Ich stellte den Zeiger knapp unter null, bevor ich die Waage erklomm. Auch der Trick, einbeinig auf der Waage zu balancieren, ließ den Zeiger nicht mehr so hoch ausschlagen wie sonst.

Ein Freund wollte irgendwann dem Spuk ein Ende bereiten und brachte mir eine digitale Waage vom Schnäppchenmarkt mit. Welch ein Fehler! Die digitale Waage steht jetzt gleichfalls im Keller, auf ihr ein Bücherstapel, den sie nun für alle Zeiten wiegen muss, aus Strafe, weil sie mich mit astronomisch hohen Angaben verschreckte. Doch das ist heute alles Geschichte. Meine Gewichtsparanoia hat sich in Wohlgefallen aufgelöst.

Das liegt an meiner neuen Beziehung zu Feli. Schon der Name klingt irgendwie aufmunternd, und eigentlich heißt Feli auch mit vollem Namen Felicitas – die Glückliche.

„Nicht über die Knie aussteigen“, ruft Thomas gerade nach oben. Pit wälzt sich über die Kante, ganz korrekt ist das nicht. Aber Pit hat ehrlich gekämpft. Das finde ich gut an der Kletterszene, nirgendwo sonst findet man so viele Männer, die sich mit ihrem Gewicht beschäftigen, was der Logik des Sports geschuldet ist. Diese Männer setzen sich selbst mit den Auf- und Abbauprozessen des Körpers intensiv auseinander und schieben das nicht den Frauen zu.

Mehr noch als meine Kletterpartner aber hat mich meine neue Freundschaft zu Feli entspannt. Ich gebe zu, dass unsere Beziehung früher nicht ganz einfach war. Und zu Beginn unserer Freundschaft war ich auch ein wenig besorgt wegen ihrer Anhänglichkeit. Denn Feli gehört zu jenen warmen und weichen Wesen, die niemandem etwas Böses tun, aber immer ein bisschen so wirken, als könne man plötzlich doch eine Wut auf sie kriegen. Als wolle man sie plötzlich doch loswerden, für immer. Nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Und ich bin ja eher der nervöse, der zerrissene Typ.

Doch meine Zweifel schmolzen dahin, als ich neulich mit Feli Klamotten einkaufen ging, zu Peek & Cloppenburg, und sie mich auf eine geniale Idee brachte. Für Feli war es viel zu unbequem, sich in Jeans jener Größe zu zwängen, die wir noch im vergangenen Jahr getragen haben. „Never try to fit in your old jeans“ – der Satz stammt aus einem amerikanischen Frauenmagazin. Feli hat mich ermuntert, einfach mal Hosen eine Nummer größer zu probieren. Das war der Durchbruch. Wozu Diäten, wenn man alles eine Nummer größer kaufen kann? Genau.

Pit macht sich oben fertig zum Abseilen. Abseilen macht Spaß, man gleitet das Seil hinunter wie Batman, sieht bei jedem elegant aus. Wer schwer ist, rauscht besonders leicht hinunter. Wusch! Pit steht vor mir. Er lässt seine Augen über die Kekspackung, mich und Feli gleiten. „Du hast gut futtern“, sagt er. Stimmt. Ich greife mir noch einen Keks. Das ist auch Felicitas recht. Seit ich ihr diesen Namen gab, kommen wir beide so toll miteinander aus. Feli – meine neue unzerstörbare Fettrolle um Bauch und Hüften. Ab diesem Sommer ist es eine Freundschaft fürs Leben.

Fragen zur Figur? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH