IN KARLSRUHE LAUERN DIE VERFASSUNGSRICHTER
: Köhler darf keinen Fehler machen

Was für eine Vorstellung. Da tritt der Bundespräsident vor die Presse und verkündet, zart schwäbelnd: Entschuldigung, aber Neuwahlen wird es leider doch nicht geben. Unvorstellbar? Wer das glaubt, der verkennt, wo die wahre Hürde steht, die es zu überspringen gilt.

Politisch gesehen ist die Sache längst gelaufen. Der September ist als Monat der Entscheidung über die Zukunft des Landes ausgemacht, der Wahlkampf seit dem 22. Mai angelaufen, das Hauen und Stechen um Pöstchen und Posten in vollem Gange. Wer will in dieser Neuwahl-Aufbruch-Sonnenaufgangs-Stimmung noch den Arm des Bedenkenträgers heben?

Doch die Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Neuwahlen sind nicht ausgeräumt. Noch weiß niemand, wie genau die notwendige Abstimmungsniederlage organisiert werden soll, was ein Hinweis eher auf die Komplexität der Materie ist denn auf das Unvermögen des Kanzlers. Die Grenzen des Grundgesetzes sind eng gesteckt. Das Parlament muss sich nach einer früheren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes in einem „materiellen Auflösungsprozess“ befinden. Dafür muss Schröder glaubhaft machen, dass er die Kanzlermehrheit verloren hat. Alles andere ist Trickserei.

Der Bundespräsident mag da ein Auge zudrücken können. So wie Johannes Rau, der 2002 das Zuwanderungsgesetz unterzeichnete, obwohl die vorangegangene Abstimmung im Bundesrat eine Farce war. Rau rief damals geradezu dazu auf, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Die Union tat es, das Gesetz wurde kassiert.

Köhler wird in diesem Fall wenig Interesse daran haben, dass eine Entscheidung von derart historischer Bedeutung von den Richtern in Karlsruhe aufgehoben wird. Allein deshalb darf es keinen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung geben. Nicht auszudenken, wenn Neuwahlen doch nicht zustande kommen. Einen zweiten Versuch, diesmal per Rücktritt, wird es wohl nicht geben. Eine große Koalition auch nicht, weil Merkel sich nicht von einem Kanzler Müntefering regieren ließe. Es würde am Ende eine Regierung weitermachen müssen, die sich schon aufgegeben hat. Viel Glück also, Herr Bundespräsident. THORSTEN DENKLER