Machtkampf der Elite in La Paz

Boliviens Nochpräsident Carlos Mesa fordert baldige Neuwahlen. Doch Parlamentschef Hormando Vaca Díez schart die Rechtsparteien um sich und spekuliert auf die Nachfolge

PORTO ALEGRE taz ■ Nach der Rücktrittsankündigung von Staatschef Carlos Mesa vom Montagabend hat sich die Lage in Bolivien keineswegs entspannt. Erneut demonstrierten am Dienstag im Regierungssitz La Paz Bergarbeiter, Kleinbauern und Studenten für eine Verstaatlichung der Erdgasquellen und die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung. Wieder setzte die Polizei Tränengas ein.

Präsident Mesa braucht für seinen Abgang den Segen des zutiefst zerstrittenen Parlaments – und das ist offiziell schon seit Wochen nicht mehr zusammengetreten. Hauptverantwortlicher dafür ist Kongresspräsident Hormando Vaca Díez, der sich gute Chancen ausrechnet, Mesas Nachfolge anzutreten. Mesa hatte sich bei seiner zweiten „Rücktrittsrede“ innerhalb von drei Monaten noch einmal ausdrücklich zur Gewaltfreiheit bekannt und im Hinblick auf seinen im Oktober 2003 gestürzten Vorgänger Gonzalo Sánchez de Lozada bekräftigt: „Ich habe nicht vor, nach Miami oder Washington auszureisen.“ 24 Stunden später legte er nach: Bolivien sei „ein Land am Rande des Abgrunds“, sagte Mesa in einer weiteren Fernsehansprache und sprach sich für baldige Neuwahlen aus, um die innenpolitische Krise zu entschärfen. Vaca Díez, sein verfassungsmäßiger Nachfolger, solle ebenfalls zurücktreten. Stattdessen solle Eduardo Rodríguez, der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes, die Amtsgeschäfte bis zu Neuwahlen führen.

Vaca Díez ist Senator aus Santa Cruz und bei der indigenen Volksbewegung extrem unbeliebt – er ist der sichtbarste Vertreter jener südostbolivianischen Oligarchie, die seit Monaten eine weitgehende Regionalautonomie einfordert. Für Oppositionsführer Evo Morales von der „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) gehört er schlicht zur „Politmafia“.

Vorgestern gelang es Vaca Díez in Santa Cruz, die Rechtsparteien MNR und MIR um sich zu scharen. Daraufhin berief er für Donnerstag eine Kongresssitzung in der Hauptstadt Sucre ein, auf der er zum Staatschef gewählt werden will. Dann könnte er bis 2007 amtieren. Morales kündigte die Teilnahme der MAS-Parlamentarier an: „So wie unsere Leute auf der Straße kämpfen, so werden wir im Kongress dafür kämpfen, dass Vaca Díez zurücktritt.“

Auf der Vollversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Fort Lauderdale warfen die USA unterdessen dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez vor, den Konflikt in Bolivien zu schüren. Für Roger Noriega, Staatssekretär im US-Außenministerium, ist die „beunruhigende“ Rolle von Chávez bei der Krise in Bolivien schon lange „offensichtlich“. Venezuelas Außenminister Ali Rodríguez erwiderte, Noriega wolle offenbar selbst den Konflikt in Bolivien anheizen.

GERHARD DILGER