Ausflug nach Mitte abgebrochen

1. Mai 15.000 Menschen beteiligen sich an der „18 Uhr“-Demo. Eskalation vor dem Jüdischen Museum. Zehntausende feiern auf dem Myfest. Friedliche Walpurgisnacht

In der Walpurgisnacht und am 1. Mai haben so viele Menschen demonstriert wie schon lange nicht mehr: 4.000 Menschen feierten und protestierten am Montagabend im Wedding, rund 15.000 Teilnehmer stark war die „Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration“ am späten Dienstag. Der Protestzug blieb lange weitgehend friedlich: Erst in der Nähe des Jüdischen Museums eskalierte die Lage. Es flogen Steine und Flaschen, die Polizei ging in die Demonstration hinein, mehrere Personen wurden festgenommen, Demonstranten und Polizisten verletzt. Kurz darauf wurde der Aufzug aufgelöst. Insgesamt waren am 1. Mai 7.000 Polizisten im Einsatz.

Mit fast eineinhalbstündiger Verspätung war die „18 Uhr“-Demonstration am Lausitzer Platz gestartet, rasch waren die Teilnehmer Richtung Kottbusser Tor gezogen. Hier flogen Steine und Flaschen erst auf eine Sparkassen-Filiale, später auch auf Polizisten. Dann beruhigte sich die Lage wieder. Das Springer-Hochhaus – im Vorfeld als der kritischste Punkt der Route angesehen – straften die DemonstrantInnen fast mit Nichtbeachtung. Doch in der Nähe des Jüdischen Museums eskalierte die Situation. Auf dem Platz davor versammelten sich Tausende Menschen. Die Polizei versuchte offenbar, die Menge auseinanderzutreiben.

„Zurück nach Kreuzberg“

Das hatte allerdings wenig Erfolg, denn die Demonstration war von Polizisten umzingelt, es gab Festnahmen. Gegen 21 Uhr wurde der Protestzug von der Polizei aufgelöst. Viele Demonstranten gaben danach die Parole aus: „Zurück nach Kreuzberg“. Ursprünglich war geplant gewesen, über die Wilhelmstraße bis zum Bebel-Platz in Mitte zu laufen, laut Aufruf „ins Zentrum der Macht“. Für die Nacht wurde mit weiteren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Autonomen gerechnet.

Kurz vor der „18 Uhr“-Demo hatten sich rund 1.200 Menschen zu einem nicht angemeldeten, aber angekündigten Aufzug auf dem Mariannenplatz mitten im Myfest getroffen, das mit rund 30.000 Besuchern wie immer proppevoll war. Die meisten Myfestbesucher reagierten gelassen, viele filmten mit Handys den Aufzug. Kurz vor 18 Uhr wurde diese Demo von Polizisten eingekesselt und aufgelöst.

Zuvor hatten Sonnenschein und Menschenmassen auf der DGB-Kundgebung und dem Myfest den 1. Mai geprägt. Entsprechend entspannt hatte sich Innensenator Frank Henkel (CDU) präsentiert, als er sich am Nachmittag kurz auf dem Kreuzberger Straßenfest blicken ließ. „So stelle ich mir den 1. Mai vor: Alles friedlich, die Sonne scheint“, freute sich der CDU-Innensenator vor dem Kreuzberg-Museum, umringt von Sicherheitsleuten, weitgehend ignoriert von den Myfest-Besuchern. Dann lobte er sich noch flink selbst: „Unser Konzept ist aufgegangen.“ Gemeint war die Doppelstrategie der Polizei: mit allen sprechen, bei Straftaten sofort eingreifen.

Henkels Zufriedenheit überraschte nicht, war doch die Walpurgisnacht so friedlich verlaufen wie seit Jahren nicht. Lediglich vier Festnahmen konstatierte die Polizei – im vergangenen Jahr waren es am 1.-Mai-Vorabend noch 58. Erstmalig hatten die Linken ihre „antikapitalistische Walpurgisnacht“, traditionell in Friedrichshain begangen, in den Wedding verlegt. Mit einer Kundgebung und Musik wurde am Nachmittag gegen steigende Mieten demonstriert, am Abend zogen rund 4.000 Demonstranten durch den Stadtteil. Die von Anwohnern befürchteten Krawalle fanden nicht statt: Es blieb bei ein bisschen Pyrotechnik und vereinzelten Steinewürfen. „Lasst uns den 30. April zum Kampftag der Mieter machen“, hieß es aus dem Aufzug.

Bereits am Vormittag hatten 12.000 Gewerkschafter vorm Brandenburger Tor für Mindestlohn und gegen die europäische Sparpolitik demonstriert.

Ganz früh schlapp machten indes die Maoisten und Linksorthodoxen: Ihre 13-Uhr-Demo sagten sie kurzerhand ab. Begründung: mangelnde Unterstützung. AKW, BIS, KO, SE

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