Großreformators Planspiel

Nach dem letzten Testspiel vor dem Konföderationen-Pokal baut Bundestrainer Jürgen Klinsmann mehr denn je auf den Bayern-Block und widmet die „Mini-WM“ vorsichtshalber zum Lernprojekt um

„Wir wissen, wir haben noch viel Arbeit vor uns“

AUS GLADBACH FRANK KETTERER

Das feine Sakko hatte Jürgen Klinsmann abgelegt, und auch die Ärmel des hellblauen Hemdes hatte er weit nach oben gekrempelt. Der Bundestrainer sah nach Arbeit aus, nach sehr viel Arbeit, und selbst sein längst zum Markenzeichen gewordenes Grinsmann-Lächeln konnte darüber nicht hinwegtäuschen. War ja aber auch keine einfache Angelegenheit, der versammelten Pressemeute zu erklären, dass auch dieses 2:2 der deutschen Kickerei gegen Russland ganz toll gewesen sei.

Klinsmann, der in solchen Dingen mittlerweile durchaus geübt ist, tat es mit der gewohnten Verve – und den gewohnten Worten, was einmal mehr bedeutete: Der Bundestrainer war „sicherlich zufrieden mit dem Spiel“ im Gladbacher Borussia-Park, hatte aus diesem Grund „ein generelles Lob“ für die Mannschaft parat, die, das durfte natürlich nicht vergessen werden, einmal mehr „Charakter gezeigt“ hatte, vor allem nachdem der Rückstand aus Minute 26 postwendend durch Bastian Schweinsteiger ausgeglichen worden war. Selbst der Ausgleich der Russen in der Schlussminute – Schweinsteiger hatte in der 69. Minute einen zweiten Treffer folgen lassen – stellte laut Klinsmann keinen Beinbruch dar. Schließlich – und das war nun wirklich das zentrale Thema des Abends, vom 42-jährigen Schwaben vorgetragen in unzähligen Variationen – befindet sich die deutsche Nationalmannschaft noch in der tiefen Phase des Lernens, wie Klinsmann ziemlich schnörkellos zu Protokoll gab: „Aus Fehlern können wir nur lernen“, was auch fürderhin immer und überall geschehen soll.

Nun kann gegen ein solches Ansinnen nichts prinzipiell Negatives vorgetragen werden, zumal die Partie vom Mittwochabend eine ganze Reihe Mängel offenbarte, vor allem in der Abwehr, die mittlerweile zur Problemzone der DFB-Elf geworden ist. Hinkel, Mertesacker, Friedrich und Hitzlsperger bildeten diesmal die Viererkette, auch gegen die Russen erwies sich das Konstrukt als wackelig, um nicht zu sagen: einsturzgefährdet.

Nahezu erschreckend zu sehen war, wie gleich mehrfach ein einziger schneller Ball ausreichte, um aus der deutschen Abwehr einen Hühnerhaufen zu machen. Zweimal führte das zu gegnerischem Torjubel – und das gegen eine Mannschaft, die Juri Sjomin, also der eigene Trainer, als im Neuaufbau befindlich bezeichnet. „Wir haben eine sehr offensiv ausgerichtete Spielweise, darunter leidet bisweilen die Abwehr“, erklärte Mannschaftskapitän Michael Ballack das Manko in der Defensive.

Das Manko in der Offensive bestand am Mittwoch darin, dass die DFB-Kicker einen recht hohen Aufwand mit meist geringem Nutzwert betrieben, vielleicht auch deshalb, weil Ballack sich eher vornehm zurückhielt und auch die Einwechslung Sebastian Deislers nach der Pause dem deutschen Angriffsspiel keinen frischen Wind verlieh.

So war es diesmal Bastian Schweinsteiger vorbehalten, die positiven Zeichen des Abends zu setzen, was dieser ausgiebig und bisweilen sehenswert tat, und das keineswegs nur wegen seiner beiden Tore. „Er hat sich zielstrebig nach oben gearbeitet“, lobte Klinsmann den Bayern-Spieler, in der Form vom Mittwoch wird der Bundestrainer in den nächsten Spielen kaum auf den Bayern verzichten können. Warum das so ist, beschrieb Mannschaftskapitän Ballack: „Er sucht die Situation Mann gegen Mann. So einen braucht jede Mannschaft.“ Zumal dann, wenn der Bursche die Situation Mann gegen Mann nicht nur sucht, sondern, wie gegen die Russen, meist gewinnt.

Im deutschen Team gibt es nicht allzu viele von dieser Sorte. Schweini – so heißt er unter Freunden – wollte seine Gala nicht allzu hoch hängen, weil sie nur 2:2 geendet hatte und damit zumindest für ihn nicht zufrieden stellend, auch weil die „Russen nicht die Übermannschaft sind“, wie Schweinsteiger sagte.

Das gilt wohl unvermindert auch für die deutsche Mannschaft, die just eine Woche vor Beginn des Konföderationen-Pokals keine ganz schlechte, aber auch keine gute Partie ablieferte. Im Prinzip ist es so, dass man kaum eine Ahnung davon hat, was die viel beschworenen Fortschritte, die die Mannschaft unter der mittlerweile knapp einjährigen Führung des viel gefeierten Großreformators Klinsmanns gemacht haben soll, im Ernstfall wert sind.

Selbst der bisweilen zur Mini-WM hoch gejazzte Confederations-Cup könnte die Klärung der Sachlage schuldig bleiben, schon weil Klinsmann die ursprünglich als erste ernsthafte Zwischenprüfung seines Wirkens angedachte Veranstaltung mittlerweile ebenfalls zum weniger bedeutenden Test umgewidmet hat, bei dem der Trainer weiter experimentieren und die Spieler unvermindert Fehler machen dürfen – so sie denn mächtig daraus lernen.

Vor das Büffeln hat Jürgen Klinsmann den Urlaub gesetzt. Die Spieler durften nach Hause. Auch Klinsmann reist ab – nach Kalifornien. Am Sonntag kehrt er wieder zurück und erwartet die 23 Nationalspieler in Frankfurt. Am Mittwoch (21.00 Uhr/ARD) startet die DFB-Auswahl im Waldstadion gegen Australien in das Acht-Nationen-Turnier.

Deutschland: Kahn - Hinkel (46. Deisler), Friedrich, Mertesacker, Hitzlsperger - Frings - Schneider, Ballack, Schweinsteiger (81. Ernst) - Asamoah (62. Hanke), Podolski (81. Kuranyi) Russland: Owtschinnikow - Beresuzki, Sennikow, Beresuzki, Jewsejew - Anjukow - Ismailow (10. Semak), Aldonin, Schirkow (46. Kerschakow) - Loskow - Sytschew (74. Arschawin); Tore: 0:1 Anjukow (26.), 1:1, 2:1 Schweinsteiger (30., 69.), 2:2 Arschawin (90.)