gelesen?
: Vielschichten-TV

Es gibt in Deutschland viele Beispiele für einen bildungsbürgerlichen Hautgout, der sich über den vermeintlichen Schund im Fernsehen erheben möchte – ist nicht auch ein Hintergrund dieses so erfolgreichen Schillerjahres, dass man sich bei Klassikern per se auf der Gegenseite des Unterschichtsfernsehens zu wähnen erlaubt? Es gibt aber auch Gegenbeispiele. Ein schönes gerade: die aktuelle Ausgabe der Intellektuellen-Zeitschrift Merkur. Neben Besprechungen aktueller Schiller-Biografien, einer Lagebeschreibung der klassischen Musik und manchem mehr findet sich darin ein toller Essay zu den „Sopranos“, der Fernsehserie also – dies den Hochkulturvertretern gesagt –, die in keinem Kanon interessanter Gegenwartskunst fehlen darf. Lee Siegel, Fernsehkritiker des New Republic, interpretiert die Serie als End- und Höhepunkt der amerikanischen Tradition der Mafia-Filme, vor allem aber analysiert er die komplexe Rollenanlage der Figuren: Es ist eben eine ziemlich komplizierte Maschinerie aus Gewaltdarstellung, Empathieermöglichung und Seelenzergliederung, die die „Sopranos“ bieten – und Siegel dröselt das alles in aller Ruhe auf. Wer den Essay liest (www.online-merkur.de), bekommt eine Ahnung davon, wie unterkomplex sich die deutsche Fernsehkritik gerade präsentiert – und unter welchen Möglichkeiten sie bleibt. Ist doch wahr! drk