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Eine Rede halten können

Deutschland (7) – Die wöchentliche Kolumne aus der Republik von Henning Kober. Heute: Vom Raven

„Wo ist meine ausnutzende Traumfrau nur?“, fragt Valtin und ahnt die Tragödie schon. Also: „Schlafen oder Raven, was meinst du?“ – „Kuscheln mit der Decke natürlich! Sind wir Kinder?“

Wär’ da nicht vor der nächsten Nacht ein neuer Tag noch. Dann fahren wir zum Neuen Deutschland. Gefroren in der Zeit sieht’s aus, da hinter dem Berliner Ostbahnhof. Lang nicht mehr gestrichen, wo früher die Zeitung für die DDR gemacht wurde.

Jetzt verkaufen Aldi und ein Möbelhaus ihren Kram, steht auch eine Taxi-Girlande. Typen in Tank-Tops und Thai-Transen laufen den Weg. Ganz nach hinten. Schlange vor der Klingel-Tür. Oben drückt es rot aus den Fenstern. Bass bombt sein Baller. „Nur Verkaufte glauben, gute Regie ist besser als Treue“, spricht Valtin.

Als er mit der Liebe ging, hat sie gleich den Nächsten abgefingert, die Schlange.

„Wehmutsknorpel mit Hassfett“, zischt er, will kein Korrumpierter sein. Wann kommst du nur, Erlöser? Egal, bitte bald.

Rein dann ins „Bergwerk“, bester Club der Welt. Die Halle hoch, zwanzig Meter. Dicker Beton, alte Stromfabrik. Steigen nach oben, wo der Spielplatz hängt, schwitzt schon.

„Wird mein Leben als Homosexueller besser?“

„Bestimmt, Valtin, bestimmt.“

Vorher schreibt er ihr ein Gedicht. Jetzt sofort. Hier an der Bar. Raucht Menthol dazu. Bekommen Wodka-Bass.

Ganz Deutschland ist hier, Tausende jedes Wochenende. Götzen statt Gucci. Warhols unfertige Sinfonie und die Nacht. Hormon-Theorie. Spucke an den Fingern.

„Ich hätte einen Vater haben können, in der Schweiz studieren, eine Rede halten können … jetzt reite ich ein Pferd“, sagt der. Und der: „Die Welt ist so weltlich, Hoffnung gibt nur die Erweiterung unserer inneren Welt“.

Dunkel hier unter den Treppen. Große unter Gasmasken. Riecht nach Milch und Brombeeren. Hey, hey, Rainald, du willst es doch auch.

Dann in der Panorma-Bar. Draußen wird’s hell. Die Wolken zieh’n schnell. S-Bahn fährt. Geht’s so weiter, weiß man nicht, ob drinnen oder draußen vor oder nach dem Angriff ist. Press die Handgelenke zusammen.

Später am Morgen, Alexanderplatz. Eine Rentnerin schiebt einen Einkaufswagen mit Bier vor sich her.

Vor meiner Tür. Stehen. Schwitzen gleich. Schimpfen jetzt, Fluchen, nein eigentlich eher: Das darf doch nicht wahr sein! Kleiner Schlüssel dreht rum und rum und …

Der Zylinder durch, ruiniert. Ruhe, rauchen im Treppenhaus. Wen ruft man an? Niemand, natürlich. Trete dann meine Tür ein. Laut, Hall. Auf ist sie. Hinsinken. In der Glotze die Nazis.

Es wird ein klarer Morgen.

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