PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH
: Der Helfer in mir

Ein guter Mensch sein zu wollen, das kann böse enden. Ich beispielsweise bin am Ende mit meinen Nerven

Manchmal stelle ich mir vor, was auf meinem Grabstein stehen soll. Ich schwanke noch zwischen „Bitte den Rasen nicht betreten“ und „Er hat sich stets bemüht“. Ich bemühe mich nämlich immer – allein, es gelingt mir nicht alles. Ein guter Mensch zu sein, zum Beispiel.

Ich traf Pauline vor drei Jahren in einem Waisenhaus in der tiefsten Provinz von Simbabwe. Sie war 17 und sollte ein Jahr später das Heim verlassen. Nur wohin?

Niemand wartete auf sie. Niemand wollte sie haben. Das konnte man doch nicht zulassen! Da kam der Helfer in mir auf die gute Idee, ihr in Deutschland eine Aupair-Familie zu suchen. Ein Jahr später landete Pauline mit leichtem Gepäck in Frankfurt, wo sie von ihrer Ersatz-Familie abgeholt wurde.

Es hätte so schön enden können: In dieser Woche läuft ihr Visum aus, sie wäre zurückgeflogen mit ihren drei voll gestopften Koffern und ein paar hundert Euro in der Tasche und hätte in ihrer Provinzstadt in Simbabwe einen Pizza-Shop eröffnet. Und ich hätte das gute Gefühl gehabt, wieder einen Menschen gerettet zu haben. Aber sie ist nicht zurückgeflogen.

Wenige Tage vor dem gebuchten Flugtermin eröffnete mir Pauline, sie werde nicht wieder in ihre Heimat zurückgehen. Zum einen wisse sie gar nicht, wo sie dort wohnen solle. Und zum andern habe sie keine Lust mehr zu hungern.

Pauline war nach Ablauf ihrer Aupair-Zeit in das Dachzimmer unserer Wohnung gezogen und hatte sich häuslich eingerichtet. In der Regel stand sie gegen elf Uhr morgens auf, nahm ein kleines Frühstück ein und zog sich dann wieder auf ihr Zimmer zurück. Am Nachmittag trug sie manchmal den kleinen Eimer mit kompostierbarem Müll zum Kompost im Garten und verspeiste zum Ausgleich dafür zwei Tafeln Schokolade. Dick sein, sagte sie mir, sei ein Zeichen von Wohlstand.

Den tragbaren CD-Player, den ich ihr gekauft hatte, ließ sie einmal aus Versehen auf den Boden fallen, er zerbrach. Daraufhin bat sie mich, ihr einen neuen zu kaufen. Ich tat es. Und als ihre Handykarte nach drei Tagen schon wieder leer war, ließ ich sie wieder aufladen. Einmal wünschte sie sich ein Mikrofon. Ich wusste nicht genau, wofür, aber es kostete ja auch nur zehn Euro und 95 Cent. Meine Frau fragte mich, wie lange Pauline noch bei uns wohnen würde. Ich konnte ihr keine genaue Antwort geben.

Wer will schon freiwillig zurück nach Simbabwe? Sie werde Asyl beantragen, sagte Pauline mir vor wenigen Tagen, und ich erhob erstmals ein wenig meine Stimme: „Mach das nicht! Sie schieben dich ab, und du wirst nie wieder legal nach Europa einreisen können.“

Sie werde ihren Pass wegwerfen und sagen, sie sei erst 17 Jahre alt. Bis die Behörden die Wahrheit erführen, würde sie einen Deutschen finden, der sie heirate. Ob ich denn nicht einen vermitteln könne? „Nein, Pauline.“

Inzwischen hatte ich auf dem Ausländeramt ihre Aufenthaltsgenehmigung wenigstens um ein paar Tage verlängert und stand in regem Telefonkontakt mit einer Familie in Italien, die sie als Aupair weiterbeschäftigen würde. Das Visum für Italien macht noch ein paar Probleme, aber auch da telefoniere ich inzwischen fast täglich mit dem italienischen Konsulat in Frankfurt und bin sehr optimistisch.

Eines Morgens bat mich meine Frau, doch bitte Pauline darum zu bitten, endlich auszuziehen. Andernfalls drohe sie mit der Scheidung. Meine Frau ist nicht unbedingt das, was man einen Gutmenschen nennt.

Ich habe Pauline inzwischen bei einem Freund untergebracht. Der rief mich gestern an und wollte wissen, ob Pauline immer bis elf Uhr morgens schlafe und sich nach dem Frühstück wieder ins Bett lege. Ich tat erstaunt und habe seither ein wenig ein schlechtes Gewissen. Tatsächlich zweifele ich sehr daran, ob es überhaupt eine gute Idee war, Pauline aus Simbabwe herzuholen.

Wahrscheinlich werde ich mich anonym bestatten lassen. Ich habe Angst, dass andernfalls noch jemand an meinen Grabstein klopft und fragt: „Hey, kannst du mir helfen?“

Brauchen Sie Hilfe? kolumne@taz.de Montag: Susanne Lang über DIE ANDEREN