die taz vor 10 jahren
: Hände weg von Bärbel Bohley?!

Gestern demonstrierten vor allem ostdeutsche Politiker vor der Wohnung der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley. Eine Solidaritätserklärung beschwört die „Gefahr einer Tendenzjustiz“, es wird behauptet, daß Richter „die Täter der zweiten deutschen Diktatur schützen und ihre Gegner erneut kriminalisieren“.

 Gerade die ehemaligen Opfer des SED-Regimes sollten wissen, wie absurd dieser Vorwurf ist. Es geht schließlich nur darum, ob Bärbel Bohley weiterhin öffentlich behaupten darf, daß der Bonner Frontman der PDS, Gregor Gysi, ein Spitzel der Stasi gewesen ist. Ein Hamburger Gericht hat ihr das bei Androhung einer hohen Strafe untersagt – eine durchaus strittige Entscheidung, deren Fragwürdigkeit durch ein Gutachten der Gauckbehörde untermauert wird.

 Die Unterzeichner der Erklärung gehen mit ihrer hohlen Emphase der Verteidigungsstrategie Gysis auf den Leim. Denn dieser stellt immer nur das Hamburger Urteil in den Vordergrund. Und so wird in der Öffentlichkeit verdrängt, daß in Berlin ein Gericht eine ganz andere Schlußfolgerung gezogen hat und der Bürgerrechtlerin Freya Klier das Recht zuerkannte, den PDS-Mann „Spitzel“ zu schimpfen.

 Unangenehm ist auch die Pseudosolidarität der Brandenburger CDU. Die Herrschaften beklagen eine Instrumentalisierung der Justiz durch Gysi, tatsächlich aber instrumentalisieren sie die Bürgergerrechtlerin mit dem Ziel, via Bohley den unbequemen PDS-Mann von der Bonner Bühne zu fegen. Selbst schaffen sie es offenbar nicht.

Wolfgang Gast, taz vom 9. 6. 1995