Für die Ärmsten ist kein Konsens in Sicht

Bei der Armutsbekämpfung in Afrika ist die Weltgemeinschaft meilenweit von ihren Millenniumszielen entfernt. Je näher die Abrechnung rückt, desto mehr überschlagen sich die Politiker mit neuen Ideen: Finanzfonds, Flugsteuer und Schuldenerlass

VON KATHARINA KOUFEN

Immer noch leben weltweit mehr als eine Milliarde Menschen in extremer Armut. Dies geht aus einem gestern veröffentlichten Bericht der UNO hervor. Das sind zwar 130 Millionen weniger als 1990 – doch das reicht nicht: Die Weltgemeinschaft hat sich verpflichtet, die Zahl von 1990 bis 2015 zu halbieren. Und die Bevölkerung wächst, vor allem in den Entwicklungsländern. Dort leben heute bereits 800 Millionen Menschen mehr als 1990 – die meisten von ihnen in Armut.

Zudem sind die Fortschritte im Kampf gegen die Armut von Region zu Region unterschiedlich. China und Indien kommen vorwärts: In Asien leben heute 230 Millionen Menschen weniger als 1990 von einem Dollar am Tag. Auch in Lateinamerika hat sich die Lage gebessert. In Afrika dagegen gibt es seither ein Drittel mehr Ärmste. Ganz zu schweigen von anderen Zielen: etwa dem Kampf gegen Seuchen und für eine höhere Lebenserwartung. In einigen afrikanischen Ländern ist jeder zweite Erwachsene HIV-positiv, in Botswana sank die Lebenserwartung von 70 auf unter 40 Jahre.

Weil es so offensichtlich ist, dass die Bemühungen der reichen Länder weit hinter den Zielen des Millenniumsgipfels von 2000 zurückbleiben und weil im September die UNO mit viel Medienbeachtung ihren wohl verheerenden Zwischenbericht vorstellt, überschlagen sich die Politiker derzeit mit Ideen zur Bekämpfung der Armut. Dienstagabend sprachen US-Präsident George Bush und Großbritanniens Premier Tony Blair über Entwicklungshilfe, heute und morgen diskutieren die Finanzminister der sieben führenden Industrieländer plus Russland. Ziel: Bis Anfang Juli einen Konsens über die Finanzierung von Entwicklungshilfe zu erreichen, der auf dem G-8-Gipfel im schottischen Glenneagles verabschiedet werden kann.

Dass es tatsächlich zu einer Einigung kommt, gilt in Regierungskreisen zunehmend als unwahrscheinlich. Blair wird für seine Internationale Finanzfazilität, kurz IFF, werben. Gemeint ist ein Fonds, den die reichen Länder über Staatsanleihen finanzieren und der Entwicklungsländer mit Krediten versorgt. Doch da ist unter anderem die Bundesregierung skeptisch: Noch sei nicht geklärt, inwieweit diese Gelder zur öffentlichen Entwicklungshilfe angerechnet werden dürfen, hieß es gestern. Also: inwieweit sie die Regierung überhaupt dem Ziel näher brächten, die Hilfe bis 2006 auf 0,33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Auch will der Finanzminister sichergehen, dass ein solcher Fonds nicht zur Neuverschuldung zählt und bei den Maastricht-Kriterien zu Buche schlägt. Außerdem verlagert man so das Problem der Entwicklungsfinanzierung in die Zukunft: Die Anleihen müssen verzinst und zurückgezahlt werden. Je nach Bonität der Entwicklungsländer fürchtet man im Finanzministerium „hohe Kosten“. Auch die USA und Japan lehnen Blairs IFF ab.

Bundesfinanzminister Hans Eichel würde seine Kollegen ohnehin lieber auf eine obligatorische Abgabe auf Flugtickets verpflichten. Doch hier stellen sich EU-Randstaaten wie Irland und Spanien quer, die fürchten, dass sie dann keiner mehr besuchen kommt. Und die Amerikaner lehnen auch diesen Vorschlag ab. Als Muss-Variante ist sie also vom Tisch, jetzt geht es um die Frage, welche EU-Länder eine freiwillige Abgabe einführen und ob die freiwillige Entscheidung bei der Regierung, der Airline oder bei den Passagieren liegt.

Lieblingsthema der Amerikaner ist ein Schuldenerlass für die armen Länder. Präsident Bush machte gestern mit der Ankündigung Schlagzeilen, er wolle einen vollständigen Erlass für alle ärmsten Länder dieser Welt. Blair unterstützt diesen Vorschlag. Die deutsche Regierung ist skeptisch, vor allem wegen der Kosten, die mit insgesamt 34 Milliarden Dollar „erheblich höher“ wären als nach der Variante, die sie selbst zusammen mit Frankreich und Japan bevorzugt. Demnach würde lediglich einigen Ländern für eine Weile der Schuldendienst beim Internationalen Währungsfonds und bei den Entwicklungsbanken gestrichen – das kostet Deutschland pro Jahr nur 10 Millionen Euro.

Am allerliebsten hätte der Finanzminister wohl, dass alle Schuldnerländer dem Beispiel Nigerias folgen: Das Erdöl-Länd profitierte derart vom hohen Ölpreis, dass es angeboten hat, seine Auslandsschulden von etwa 30 Milliarden Dollar vorzeitig zurückzuzahlen. Die Details, in welchem Zeitraum und zu welchem Diskontsatz, werden auch Thema auf dem heute beginnenden Finanzminister-Treffen sein. Für Deutschland würde das bedeuten: Ausnahmsweise mal kein Kopfzerbrechen, wo frisches Geld herkommen soll, sondern Einnahmen. Ganz unverhofft.

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