Mzoudi will schleunigst die Koffer packen

Sensation nach dem Urteil: Statt gegen die drohende Abschiebung zu prozessieren, kündigt der Marokkaner die freiwillige Ausreise an

„Die Verhöre in Marokko kann man überleben. Wir hoffen,dass ihm nichts passiert“

BERLIN taz ■ Die Bundesrichter hatten ihre spektakuläre Entscheidung noch nicht einmal zu Ende vorgetragen, da ließ auch Abdelghani Mzoudi gestern eine kleine Sensation verbreiten: Ihr Mandant wolle freiwillig ausreisen, richteten die Verteidiger aus – und zwar „möglichst bald“. Nichts wie weg? Zurück nach Marokko? Freiwillig? Selbst Mzoudis Hamburger Ausländerrechtsanwalt wirkte ziemlich verdattert über die Nachricht – schließlich hatte er genau wie die Hamburger Behörden mit einem langwierigen Rechtsstreit um die Ausweisung seines Mandanten gerechnet. Eine Erklärung? Nein, die habe er auch nicht, sagte Hartmut Jacobi der taz. Mzoudi habe ihm nicht mal persönlich Bescheid gesagt: „Vielleicht erläutert er es Ihnen ja, wenn Sie ihn fragen.“

Die Verwunderung des Juristen ist verständlich. Schließlich hatte Jacobi mit einer ganzen Truppe anderer Anwälte bis zuletzt vor verschiedenen Hamburger Gerichten gegen das Studienverbot und die drohende Ausweisung von Mzoudi und dessen Landsmann Mounir al-Motassadeq gestritten. Noch vor einigen Tagen warnte Strafverteidigerin Gül Pinar im Gespräch mit der taz: „Herr Mzoudi muss das Schlimmste befürchten, wenn er nach Marokko abgeschoben wird.“ Die Hamburger Innenbehörde dürfe den 32-Jährigen auf keinen Fall rauswerfen. Denn in Marokko drohe ihm Folter, Verschleppung im Auftrag des US-Geheimdienstes – womöglich sogar beides.

Der Albtraum Marokko, nichts als Propaganda? Dagegen spricht, dass auch die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) vor einer Abschiebung Mzoudis gewarnt hatte. Zahlreiche mutmaßliche Islamisten seien seit den Bombenanschlägen in Casablanca im Mai 2003 an geheime Haftorte gebracht und gefoltert worden, so ai-Marokkoexpertin Ange-Marie Pioerron. Wie sie das Risiko für Figuren wie Mzoudi und Motassadeq bewerte? „Groß.“

Die Verteidiger boten gestern auf dem Karlsruher Gerichtsflur einige argumentative Akrobatik auf, um die überraschende Volte zu begründen. Von einer drohenden Parallele zum Schicksal des Deutsch-Syrers Haydar Zammar, der Ende 2001 offenbar in Zusammenarbeit mit dem US-Geheimdienst aus Marokko nach Syrien verschleppt wurde und seither dort an unbekanntem Ort ohne Zugang zu Anwälten gefangen gehalten wird, wollte Pinar plötzlich nichts mehr wissen. Natürlich gebe es eine gewisse Gefahr für ihren Mandanten in Marokko, so die Anwältin. Schließlich würden mutmaßliche Islamisten dort nach ihrer Rückkehr aus dem Ausland wochenlang verhört: „Aber das kann man überleben. Wir hoffen, dass ihm nichts passiert.“

Lieber volles Risiko in der Heimat als für eine Zukunft in der Fremde streiten? Ein Blick auf Mzoudis Hamburger Alltag lässt ahnen, was den 32-Jährigen zu diesem Entschluss bewogen haben dürfte. Seit seiner Haftentlassung im vergangenen Jahr führte er genau wie sein Studienfreund Motassadeq ein Leben im Wartestand. Die Hochschulen weigerten sich, die angehenden Elektrotechniker noch mal zum Studium zuzulassen. Keiner von beiden hatte eine Arbeitserlaubnis, keiner bekam Sozialhilfe. Motassadeq, verheiratet mit einer Russin, Vater zweier Kleinkinder, sei inzwischen „bettelarm“, sagte sein Strafverteidiger. Nur weil das Gericht das S-Bahn-Ticket zahlte, konnte der Angeklagte überhaupt aus der Harburger Wohnung zu seinem Terrorprozess in die Innenstadt fahren.

Sind diese Auflagen unzulässige „Ersatzbestrafungen“, wie Verteidigerin Pinar wiederholt beklagte? Man kann aber auch die Gegenfrage stellen: Was unternahmen die beiden eigentlich seit den Anschlägen gegen den Vorwurf, sie stünden weiter auf der Seite der Falschen?

Fest steht: Die Marokkaner sind nie auf Abstand gegangen zu den alten Freunden – nicht mal zum Schein. Keine Geste des Mitleids für die Opfer der Terroranschläge. Im Gegenteil. Bis zuletzt habe sich keiner der beiden von der militanten islamistischen Szene in der Hansestadt abgewendet, sagte Hamburgs Verfassungsschutz Heino Vahldieck: „Sie suchen nicht die Distanz, sondern die Nähe.“ Daher halte man „M & M“ – wie Motassadeq und Mzoudi im Jargon der Sicherheitsbehörden heißen – weiter für Gefahrenherde.

Rauswerfen – so schnell wie möglich, das war deshalb der Plan der Hamburger Innenbehörde. Schon im letzten Jahr hatte sie den jungen Männern ihre Ausweisungsverfügung zugestellt. Ihre Frist zur freiwilligen Ausreise im Falle eines Freispruchs: 14 Tage.

Selbst wenn ein oberstes Gericht dem 32-Jährigen am Ende Abschiebeschutz gewährt hätte – was hätte er sich noch von einem Leben in Deutschland versprechen sollen? Freigesprochen zwar, aber doch für immer behaftet mit dem Makel, dass ihm eine Mitschuld am Tod von mehr als 3.000 Menschen womöglich nur nicht nachgewiesen werden konnte. Geduldet von einer Gesellschaft, für deren Lebensstil er vermutlich ohnehin nur Verachtung übrig hatte. „Herr Mzoudi“, bilanzierte gestern sein Strafverteidiger, „hat hier keine Perspektive mehr.“

Schwieriger ist die Frage, welche Zukunft sich jemand wie Mzoudi in Marokko erwarten darf. Kurz nach den Anschlägen im Herbst 2001 träumte der Elektrotechnikstudent von einer Ingenieurslaufbahn in der Heimat: „VW plant in Tanger ein Werk. Vielleicht bekomme ich dort einen Job.“ Gut dreieinhalb Jahre später klingt das Zitat wie ein schlechter Witz. Zwar beschäftigt eine Volkswagen-Tochter dort in einer Fabrik für Bordtechnik heute 1.850 Menschen. Aber kein deutsches Unternehmen dürfte noch erwägen, eine Figur wie Mzoudi auf seine Gehaltsliste zu setzen.

Den deutschen Behörden darf die Zukunft des jungen Mannes egal sein, sobald er im Flugzeug sitzt. Sie haben eine Sorge weniger. Und dürfen hoffen, dass Motassadeq dem Beispiel seines Freundes folgt. ASTRID GEISLER