Europa in vier Tagen

THEATER Im Rahmen des dritten „Spieltriebe“-Festivals zeigt das Theater Osnabrück ab dem 4. September Erstaufführungen von Stücken aus dem europäischen Ausland

„Interessant ist, dass Europa zusammen wächst, aber weniger Stücke aus dem europäischen Ausland importiert werden.“

Holger Schultze, Intendant

VON HEIKO OSTENDORF

Junge Frauen mit bunten Schildern in der Hand ragen wie Leuchttürme aus den Menschenmassen. Busse halten, öffnen erwartungsvoll ihre Türen. Was sich nach Pauschaltourismus anhört, ist lediglich das alle zwei Jahre ins beschauliche Städtchen Osnabrück einkehrende Theaterfestival „Spieltriebe“, das das örtliche Stadttheater auch über die Stadtgrenzen hinweg immer wieder ins Gespräch bringt.

Intendant Holger Schultze, der das Festival gleich zu Beginn seiner Amtszeit vor mittlerweile fünf Jahren trotz geringen Etats aus dem Boden stampfte, ist auch kurz vor der dritten Auflage (4.-7. September) bester Laune. Auch weil sein Haus gerade wegen der „Spieltriebe“ mit dem Preis der deutschen Medien- und Theaterverlage ausgezeichnet wurde. Als zweites Theater nach Bremen.

„Die Außenwirkung ist enorm. Das merkt man daran, dass viele Intendanten und Schauspieldirektoren aus Bern, Wuppertal und größeren Häusern eigens anreisen“, sagt Schultze. Bei der Premiere der „Spieltriebe“ im Jahr 2005 hatte er auf Ur- und Erstaufführungen aus Deutschland gesetzt, 2007 konzentrierte sich das Festival auf Zweitaufführungen. Damit machten sie auf den Uraufführungswahnsinn an den Theatern aufmerksam, die immer wieder nach neuen Stücken lechzen, die dann meistens nach der Uraufführung nie wieder eine Bühne zu sehen bekommen.

2009 untersucht „Spieltriebe 3“ nun das Thema Europa. Die Macher haben sich neun Stücke für Erstaufführungen gesichert. Dazu kommen zwei Konzerte, eine Oper und zwei Tanzstücke der neuen niederländischen Hauschoreografin Nanine Linning. Natürlich ist Europa als Thema für ein Theaterfest nicht neu – das weiß auch Holger Schultze. „Das besondere an unserem Festival ist, dass wir selber inszenieren und produzieren, während andere Veranstaltungen dieser Art nur zu Gastspielen einladen.“ Der pädagogische Effekt darf dabei natürlich nicht fehlen.

„Interessant ist, dass Europa zusammenwächst, aber Übersetzerhonorare gekürzt werden und weniger Stücke aus dem europäischen Ausland importiert werden“, sagt Schultze. „Was für eine Selektion findet dann statt? Ist sie künstlerisch oder ist sie eine des sprachlichen Wissens? Hat ein Verlag überhaupt eine Chance, an andere Stücke heranzukommen? Oder werden bestimmte Länder im ach so vereinten Europa gar nicht zur Kenntnis genommen?“, fragt der Osnabrücker Intendant.

Das Festival widmet sich zum großen Teil den Ländern, die selten auf unseren Bühnen zu finden sind: Finnland, Bulgarien, Republik Moldau, Serbien und Polen. Die Autoren sind natürlich begeistert, sich auf dem deutschen Markt zu positionieren. „Die Leute können so mich und meine Arbeit kennen lernen“, meint beispielsweise Maja Pelevic aus Serbien. Sie hat ein Stück über Orangenhaut beigesteuert und nicht, wie man meinen könnte, über Krieg.

Die Oper „Ophelias: Death by Water Singing“ des Norweger Komponisten Henrik Hellstenius beschäftigt sich mit der weiblichen Sicht auf die Hamlet-Handlung. Und Alek Popovs „Mission:London“ spielt komödiantisch mit Vorurteilen des Westens über seine bulgarische Heimat. Dieses Stück bekommen alle Zuschauer im Theater am Domhof zusehen. Danach geht es in die Busse, denn die Stücke werden in Kasernen, am Güterbahnhof, auf alten Gleisen und in Militärkinos gespielt. Daher beginnt nun auf fünf Routen eine Reise durch die Stadt – immer den jungen Frauen mit den bunten Schildern hinterher. Europa in vier Tagen.

Spieltriebe 3: Theater Osnabrück, 4. bis 7. September 2009