„Man muss jungfräulich fernsehen“

TV-ZUKUNFT Was sieht eigentlich ein Profi gern? Ein Gespräch mit dem Produzenten Nico Hofmann

■ Start: Am 4. Dezember 1959 in Heidelberg geboren, ist Hofmann heute Deutschlands führender Fernsehproduzent.

■ Sieg: Der Regisseur Hofmann gewann mit „Der Sandmann“ den Grimme-Preis, den Bayrischen Filmpreis und Goldenen Löwen.

■ Gründung: 1998 war er Mitbegründer der Produktionsfirma Teamworx, mit der er diverse große TV-Filme wie „Dresden“ und „Mogadischu“ produzierte.

■ Lehre: Er lehrt an der Filmhochschule Baden-Württemberg und initiierte den Filmnachwuchspreis First Steps.

INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG

taz: Herr Hofmann, in Berlin läuft ab kommendem Freitag die Internationale Funkausstellung. Die IFA wirbt mit dem Slogan „Consumer Electronics Unlimited“ – ist Fernsehen ein Auslaufmodell im großen Reich der Unterhaltungselektronik?

Nico Hofmann: Fernsehen wird immer etwas Besonderes bleiben. Aber wir erleben gerade eine unglaubliche technische Perfektionierung: Große TV-Events werden zunehmen, produziert in Kinoqualität. Fernsehen wird statthalterisch für Kino auf HD-Qualität stattfinden. Parallel kommt noch die Vernetzung mit dem eigenen PC dazu. Die ganze mediale Welt trifft sich dann auf dem Bildschirm.

Und mit Ausnahme der großen TV-Events verliert das normale Programm dann an Wert?

Nein, da gibt es keinen Verlust, ganz im Gegenteil: Seit Jahren nehmen alle Formen der Fernsehnutzung zu. Es wird ja immer die These aufgestellt, dass vor allem die Jüngeren kein TV mehr schauen. Aber die werden auch älter – ich sehe das bei meinen Studenten: Die im ersten Jahrgang studiert haben, sind heute Mitte 30 – und schauen wieder Fernsehen.

Das liegt doch nur an Ihrem positiven Einfluss.

Nein, die stehen sehr kritisch zu mir. Das ist schon eigene Haltung.

Gibt es überhaupt noch „das Fernsehen“?

Es gibt viel Beliebiges, was man einfach nebenher laufen lässt: Der Fernseher ist an, der Rest ist Berieselung, pures Entertainment. Und dann gib es relevantes, durchaus auch journalistisches Programm. Hier lautet die Frage schlicht: Was ist wichtig?

Was ist denn wichtig?

Zunächst mal, dass sich seit einiger Zeit die ganze Denke verändert, wie man mit Stoffen umgeht: Nach „Mogadischu“ kommt im Oktober unser Helmut-Kohl-Event, Anfang 2010 der Rudi-Dutschke-Film, wir drehen gerade einen sehr aufwändigen Film über Scientology – das sind auch journalistische Stoffe, die Relevanz am Bildschirm schaffen. Und jeder Sender ist mehr denn je auf der Suche nach relevanten Programmen, weil nur die wirklich wirken. Nach dem Film „Willkommen zu Hause“ über einen traumatisierten Afghanistan-Heimkehrer gab es eine Bundestagsanhörung. Auch „Contergan“ hat entsprechende politische Wirkung gezeigt. Ich möchte weg von diesem „der Fernseher läuft halt und es ist egal, ob ich hinsehe oder Kaffee trinke“. Das ist nicht meins.

Wo ist ein Nico Hofmann denn dafür Stammseher?

Ich bin der klassische Allesgucker. Das ist jetzt keine Marotte von mir, ich schau Tag und Nacht und lehne erst mal grundsätzlich nichts ab, es sei denn, es ist schlecht gemacht. Einerseits bin ich Nachrichtenfreak und vergleiche gern Claus Kleber im neuen ZDF-Studio mit CNN. Ich stehe aber auch dazu, dass ich mindestens 15 Folgen der letzten Staffel von „Big Brother“ gesehen habe.

Weil das so relevant ist?

Ich war fasziniert von diesem Typ, der gewonnen hat. Dieser Daniel hatte eine unglaubliche Authentizität. Ich hole mir aus einer solchen Seherfahrung durchaus Männerbilder heraus, und ich finde in einer solchen Figur Besetzungsideen für viele andere Programme, die wir machen. Ich sehe mir auch „Deutschland sucht den Superstar“ an und bin immer wieder enttäuscht, wenn am Ende ein Durchschnittskandidat ohne eigenes Profil gewinnt. Da ist die US-Version mit ihren schrägen Typen oft interessanter.

Da spricht jetzt aber der Fernsehprofi und Professor für Produktion, Nico Hofmann.

Nein, der Privatmensch. Ich verlasse mich auch professionell ganz auf meinen privaten Geschmack – und vor allem muss man als Produzent in der Lage sein, jungfräulich fernzusehen. Das gilt im Übrigen auch für die Rohschnitte – ich beginne mit dem professionellen Blick der Analyse frühestens bei der vierten Fassung.

„Es werden all jene durch den Rost fallen, die nur Mittelmaß produzieren“

Sendungen wie „Big Brother“ und „DSDS“ gelten bei Autoren wie Michael Jürgs oder Alexander Kissler als Beleg dafür, wie wir in den „Seichtgebieten“ des Fernsehens verblöden; beide haben gerade Bücher dazu veröffentlicht.

Diese Gesamtverdammnis des Fernsehens in beiden Büchern ist mir zu einfach. Ich stimme aber einer Conclusio von Jürgs und Kissler zu: Die wirkliche Gefahr liegt in der Wiederholung des Ständigselben. Es gibt leider einen sehr deutschen Trend, das Immergleiche – manchmal auch sehr Seichte – ständig zu wiederholen. Wenn ich die gleiche Personenkonstruktion im immergleichen Setting – vorzugsweise in Südafrika – mit dem immer gleichen Personal sehe, schalte ich ab.

Also unterschätzt das deutsche Fernsehen seine Zuschauer?

Ja, und da bin ich leider manchmal selbst der schlimmste Quotenfetischist: Ich stoße oft Debatten an, die eigentlich nicht sein müssten. Ich habe zum Beispiel 2007 bei „Das Wunder von Berlin“, einer Punk-Geschichte aus der DDR, dafür gesorgt, dass die Punkmusik-Strecke am Anfang von zehn auf drei Minuten heruntergeschnitten wurde. Da denkt man, Punks, Sonntagabend, da verliert man das ältere Publikum. Aber das Gegenteil war der Fall. Über acht Millionen Menschen haben diese DDR-Geschichte angeschaut.

Wer ist beim Fernsehen der Zukunft wichtiger: die Sender oder die Produzenten?

Alles kreativ Herausragende ist entstanden aus der engen Zusammenarbeit einer herausragenden Redaktion beim Sender mit einem herausragenden Produzenten. Und das bleibt das Modell der Zukunft. Die Rolle der Produzenten ist dabei stärker geworden, und die Auswahl wird gnadenlos sein, was die produzentische Qualität betrifft. Es gibt im Moment viele Produzenten, die müssen aufgeben, weil sie seit fünf, sechs Jahren keine relevanten Filme mehr produziert haben. Das gilt übrigens auch für kleingeistige, schlecht gemachte Zeitungen, die weder relevante Stoffe noch relevanten Journalismus kennen: Es werden all jene durch den Rost fallen, die nur Mittelmaß produzieren.