Fernsehen ohne Fernseher

GERÄTE Pünktlich zur Lieblingssendung im Wohnzimmer sitzen zu müssen, war gestern: Viele Programminhalte gibt es zum Mitnehmen

■  Online: Fast zwei Drittel aller Internetnutzer schauen zumindest gelegentlich Bewegtbilder im Internet an. 34 Prozent tun dies laut der ARD/ZDF-Onlinestudie 2009 wöchentlich.

■  Junge Leute: Die 14- bis 29-Jährigen nutzen Onlinefernsehen doppelt so häufig wie der Durchschnitt. Laut JIM-Studie 2008 hält nur jeder Siebte zwischen 12 und 19 den Fernseher als Medium für am wenigsten verzichtbar.

■  IPTV: Das „Internetprotokoll-Fernsehen“ kommt über die Breitband-Verbindung per Set-Top-Box auf den Fernseher. Das gebührenpflichtige, interaktive Format soll in Zukunft Fernsehen und Internet verbinden.

Von Sebastian Erb

Es dauerte viele Jahrzehnte, bis das Fernsehen die Wohnzimmerecke verlassen durfte. Erst gesellte sich zur ARD das ZDF, Mitte der 1980er Jahre dann die Privaten. Doch egal, ob per Antenne, Kabel oder Satellit: Das Bild flimmerte weiter auf dem Fernsehapparat. Heute ist das anders: Fernsehen findet immer noch statt – aber immer öfter ohne Fernseher.

Seit 2003 stellten die Bundesländer nach und nach das Antennenfernsehen auf den digitalen Standard DVB-T um. Fernsehen auf dem Computer wurde für alle möglich. Dafür muss man nicht unbedingt eine TV-Karte in den Rechner schrauben. Um mit dem Laptop in der Küche oder auf der Parkbank fern zu schauen, genügt ein kleiner USB-DVB-T-Stick. Den gibt es schon für weniger als 20 Euro.

Selbst so einen Stick braucht man für viele Programme nicht mehr – der Internetzugang genügt. Wer sich bei Zattoo registriert, kann CNN schauen oder das gesamte Angebot von ARD und ZDF, inklusive der Regional- und Spartenprogramme. So wollen die Öffentlich-Rechtlichen vor allem jüngere Zuschauer erreichen.

„Die Strategie geht auf“, sagt Nils Brambring, der bei Zattoo für den deutschen Markt verantwortlich ist. Über die Hälfte der Zuschauer sei jünger als 40. Brambring glaubt, dass auch die großen Privatsender bei Zattoo an Bord gehen, sobald die Internet-Zuschauer bei der Messung der TV-Quoten erfasst werden.

Die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung arbeitet bereits an entsprechenden Messinstrumenten. „Wir wollen die neuen Nutzungsformen so schnell wie möglich miteinbeziehen“, sagt Geschäftsführerin Anke Weber. Ein Zuschauer, der eine Sendung per Festplattenrekorder aufnimmt und sie bis zu drei Tage später anschaut, geht seit Kurzem schon in die Quote ein.

In der Branche gilt als sicher: Der TV-Konsument will seine Lieblingssendung dann sehen, wenn er Lust und Zeit dafür hat. Dieses Bedürfnis versuchen die Sender mit On-Demand-Angeboten zu befriedigen. ARD und ZDF werben mit eigenen Kanäle auf YouTube, mehr Videos gibt es dann in den Mediatheken.

2001 die erste Mediathek

Das ZDF startete die erste Version seiner Mediathek 2001, in der viele Programminhalte seither online geschaut werden können. „Damals wurden die Sendungen hauptsächlich tagsüber angeschaut“, sagt Robert Amlung, Leiter Digitale Strategien beim ZDF. Vermutlich im Büro, denn zu Hause hatte kaum einer eine ausreichend schnelle Internetverbindung. „Was im Fernsehen gut läuft, läuft auch in der Mediathek gut“, sagt Amlung. Das heißt, das „Heute Journal“ und die Spielfilm-Mehrteiler. Insgesamt wurde im Juli beim ZDF 13 Millionen Mal ein Video angeschaut.

Marcus Prosch von ProSiebenSat.1 spricht von einem Paradigmenwechsel. „On-Demand und Interaktivität sind mehr als Trends.“ Im Schnitt 18,5 Millionen Abrufe monatlich verzeichnete die Sendergruppe in der ersten Jahreshälfte, dreimal so viele wie ein Jahr zuvor. Besonders erfolgreich: „Germany‘s next Topmodel“. Bei RTL ist die Soap „Alles was zählt“ die erfolgreichste im Netz mit rund drei Millionen Downloads monatlich.

Seit Jahren wollen die Netzbetreiber den Zuschauern Handy-TV schmackhaft machen

Viele Sendungen stehen allerdings nur kurz online, meist für sieben Tage – und manche gar nicht. Den „Tatort“ etwa müssen Krimifans vorerst weiter im Fernsehen schauen. Denn die ARD verfügt nicht über die Filmrechte für die Mediathek.

Findige Zuschauer haben da längst eine Alternative entdeckt: Den Videorecorder im Internet. Das funktioniert ganz einfach: Die Aufnahme online programmieren, später die Datei herunterladen, decodieren, anschauen. Rechtlich bewegt sich das allerdings in einer Grauzone.

Wer sich ganz sicher legal seine Lieblingsserien besorgen möchte, kann das im „iTunes“-Store von Apple tun. Zwischen 1,99 und 2,99 Euro kostet eine Episode. Das Geschäft laufe hervorragend, heißt es, Zahlen will man keine nennen. Auch die Fernsehsender bieten Podcasts zum Anschauen auf MP3-Player an. Das Angebot ist hier allerdings relativ überschaubar.

Genauso überschaubar sind auch die Erfolge des Handy-TV in Deutschland. Seit Jahren versuchen die Netzbetreiber, dem Zuschauer das Fernsehen unterwegs schmackhaft zu machen. Doch der erste Anlauf zur Fußball-WM 2006 ging in die Hose. Der digitale Mobil-Standard DVB-H, der in vielen anderen Ländern seit Jahren läuft, gilt in Deutschland als gescheitert. Wenn heute jemand Fernsehen auf dem Handy schaut, dann meist per DVB-T. Dafür muss man nämlich nichts bezahlen – außer GEZ-Gebühren.