Seiltanzen im Park

Es muss nicht immer der Ausflug ins Umland sein: Spielforscher Martin Legge will Erwachsene und Kinder wieder zum Spielen im öffentlichen Raum animieren. Da reicht schon eine Gartenpforte

von Kaija Kutter

Was machen wir am Wochenende? Einen Ausflug in den Wald? Einen Trip zum neuen Indoor-Spielplatz? In den Tierpark? Kinder zieht euch an, ab ins Auto! Nicht selten reagiert der Nachwuchs mit nöligem Gemurre auf solchen elterlichen Elan – zu Recht. Denn das Ansteuern eines ferneren Ausflugsziels mit dem Familien-PKW bedeutet wieder erstmal 45 Minuten stillsitzen, ehe es dann heißt: Bewegt euch mal.

„Was bei Ausflügen ins Umland netto an Bewegung rumkommt, ist oft nicht viel“, weiß Spielforscher Martin Legge zu berichten, der für das „Forum Spielräume“ des Fachbereichs Sportwissenschaft der Uni Hamburg einen ungewöhnlichen Beruf ausübt: Legge erforscht Bewegungsspiele, die Eltern, Kinder, Lehrer und Erzieher mühelos in den Alltag integrieren können. So muss bei einem Ausflug die Familie ja zunächst einmal die Haustür öffnen und die Treppe runtergehen. „Da kann man runterspringen oder rutschen“, regt Legge an. Dann sei da vielleicht eine Pforte am Vorgarten: „Lassen Sie die doch mal zu und versuchen, den Zaun kletternd zu überwinden.“

Und was sagen die Nachbarn? Sicher, der Umwelt ist so etwas nicht leicht zu erklären. Gerade erst hat Legge mit Kindern einen Erlebnispfad durch den Stadtteil Lurup erstellt, über Bachfurten und Geheimwege an Kitas, Schulen und Spielpläzten vorbei. Beim Erkunden des Geländes, berichtet er, sei er schon mal von Polizisten gefragt worden, was er da tue. „Die haben nicht geglaubt, dass ich das beruflich mache. Erst wenn Kinder dabei waren, war die Sache klar.“

Ensteht diese Kommunikation mit Anwohnern, ist sie bei den Spielforschertouren mit Kindern sogar Teil des Programms. „Wenn wir eine schöne Mauer sehen, wo man prima einen Flummi gegenwerfen kann, dann klingeln wir und fragen, ob wir das dürfen.“ Auf diese Weise bekomme man schnell Kontakt: „Alte Leute bleiben stehen und sagen: Das haben wir früher auch gespielt.“

Für den Erlebnispädagogen ist es eine „politische Sache“, den öffentlichen Raum zurückzuerobern – sei dieser doch nicht nur für Autos und Hunde da. Für den Kernbereich Altona tüftelt Legge deshalb gemeinsam mit einem Netzwerk von Kooperationspartnern einen Bewegungsstadtplan aus, der zum Jahresende ins Internet gestellt werden soll. Dort steht dann nicht nur, welche Orte sich etwa zum Klettern eignen, es wird auch zwischen „Grünanlagen“ und „Braunanlagen“ unterschieden. Letztere sind Parkflächen, die von den Menschen nicht angenommen werden. Der Ausgust-Lüttgens-Park am Stadtteilzentrum „Haus 3“ zum Beispiel sei bis vor einiger Zeit so eine ungenutzte Fläche gewesen. Dabei, so Legge, gibt es dort wunderschöne alte Bäume, darunter eine alte Platane, durch die Kinder durchklettern können.

Wir treffen uns bei Regen im Park. Zunächst einmal gibt es Schimpfe, weil zwar die Kinder wetterfeste Kleidung tragen, die Mutter aber in Sandalen kommt. „Bei Regen kann man so tolle Sachen machen“, schwärmt Legge. „Aber die Eltern müssen Gummistiefel anziehen.“ So kann man mit einer aufgeschnittenen Tüte den Regen einsammeln und versuchen zu trinken. Oder die größte Pfütze suchen und sich an einem gespannten Seil darüberhangeln wie über eine Schlucht.

Legge hat Fotos dabei von einer Kita-Gruppe, die das im Rahmen einer Fortbildung hier im Park gemacht hat. Die Kinder, berichtet er, entwickeln neue Spielideen von selbst. Die eigentliche Zielgruppe seien die Eltern und Erzieher: „Da muss im Kopf ein Schalter umlegt werden. Wenn ich wieder weg bin, passiert sonst nichts. Kein Erwachsener klettert auf einen Baum.“

„Komm sofort runter!“, heißt beispielsweise es auch, wenn Kinder von der rückwärtigen Seite aus eine Feuernottreppe mit offenen Stufen hochkraxeln. Legges Abenteuertour durch den Park beginnt mit eben dieser Übung, die Bauch- und Armmuskeln fordert. Prima klettern lässt sich auch am vergitterten Seitenfenster des „Haus 3“. Dabei sollen die Kinder nur so hoch steigen, dass wie sich trauen, auch wieder runterzuspringen. „Bouldern“ heißt dieses Sicherheitstrainung, das die Kinder auch sehr gut an einer gerade mal kniehohen Mauerkante üben können.

Auch das nächste Spiel ist verblüffend simpel: Kinder sollen, blind dank einer wie bei „Wetten, dass“ abgeklebten Schwimmbrille, die ebenerdige Backsteinkante eines Beetes entlangbalancieren. Wer abrutscht, zählt die Steine, die er geschafft hat, und versucht, seinen Rekord bei dieser „Balancierolympiade“ zu verbessern. Seiltanzen im Park lässt es sich auch schön auf dem nur kinderkniehohen Eisengeländer, das den Rasen eingrenzt.

Viele Einrichtungen dächten, sie müssten ihre Spielanlagen ganz neu gestalten, berichtet Legge. Dabei genüge es oft, das Vorhandene anders zu benutzen. Eine simple Bank kann ein Tor fürs „Fußballgolfen“ sein, ein Asphaltloch zum Murmelziel werden. Und man versuche einmal, unter der Maßgabe, dabei nicht den Boden zu berühren, unter einer Betontischtennisplatte durchzuklettern. Genug Repertoire für eine ganze Sportstunde böte gar eine Rutsche, die rückwärts raufzuklettern es „mindestens zehn verschiedene Arten“ gebe, begeistert sich Spielforscher Legge.

Nur, dass das verboten ist, wurde den Kindern vermutlich einfach schon zu oft gesagt.