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Ausgehen und rumstehen von Ruth Lang FuentesAlles um mich rum ist älter als ich

Foto: F.: schallkoerper_fotografie

Es sind immer dieselben Gestalten, die am Tresen vom Goldenen Hahn in 36 rumlungern, Bier kippen und dann ihre letzten Münzen zusammenkratzen für einen letzten Schnaps. Alte Punks und abgeranzte Charaktere, die auch gut in ein Bukowski-Gedicht passen würden. Zwischen all den Alk-Flaschen, Stickern und „Deko“-Elementen – unter anderem auch die Figur eines Hahns – hängt ein Schild: „Gäste, die trinken, um zu vergessen, werden gebeten, vorher zu bezahlen.“ Ich schaue mich um: Sie alle hier haben bestimmt bezahlt.

Es ist so verraucht in der Kneipe, dass ich mir Zigarette um Zigarette drehe, weil es ja eh keinen Unterschied macht, ob ich rauche oder atme. Ein Typ rubbelt Rubbellose auf. „Wenn der gewinnt“, sage ich zu dir, „dann kommen wir hier nicht mehr raus.“ – „Nicht bevor alle Flaschen im Regal ausgetrunken sind“, sagst du. „Von wegen“, sagt der Typ hinterm Tresen. „22 Uhr ist hier jetzt Schluss ab heute. Die Nachbarn haben sich beschwert, wir wären zu laut.“

Der Klassiker, denke ich. Ziehen nach 36 wegen des Flairs und machen alles kaputt. Dabei ist doch schon Mittwoch, und das ist ja bekanntlich der kleine Samstag. „Das war mal so“, sagst du, als hättest du meine Gedanken gelesen. „Und ganz ehrlich, das Berlin, das du da meinst, das sie kaputt machen, das gibt es doch schon lange nicht mehr.“ Und vermutlich hast du recht, auch wenn ich das nicht möchte.

24-Stunden-Stadt, Raves an jeder Ecke, Drogen, Protest, Exzess – von dem, was ich mitbekomme, war das wohl einmal. Heute ist Berlin Kommerz, Gentrifizierung und Nachtruhe, eventuell ein paar Lines Koks auf der überteuerten Clubtoilette. Und die Erinnerung, die langsam verblasst in den Menschen, die sie noch in sich tragen.

Wir treten auf den Rio-Reiser-Platz, denn ein Platz trägt jetzt Rios Namen. Und natürlich fährt in dem Moment eine Wanne mit Bullen an uns vorbei, hält einen Radfahrer an, der bei Rot über die Ampel ist. Drei Touris beobachten die Szene, Aperol Spritz in der Hand. Berlin heute.

Drüben im SO36 spielt eine weitere Erinnerung an vergangene Zeiten: Element of Crime. Da wollen wir hin. Fünf Konzerte in einer Woche geben sie, vier davon ausverkauft, eins in Spandau. Ich hatte dich gefragt, ob du mitwolltest, weil ich weiß, dass du sie auch magst. Weil „Ohne dich“ dein Lieblingssong von ihnen ist – und trotzdem mit dir hingehen schöner ist. Und weil ich dachte, dann nicht ganz so aufzufallen als junger Mensch zwischen all den Leuten, die das Berlin der 80er und 90er wirklich erlebt haben. Die immerhin in einer echten Erinnerung schwelgen können und nicht in einer, die ihnen erzählt wurde. Oder in einer, die sie sich aus einem Sven-Regener-Roman zusammengereimt haben.

Da kommt dieser schon auf die Bühne, vom Outfit her etwas zu sehr Jazzmusiker für das mal punkige – heute eher kultige – SO. Das Mikro ist etwa auf Höhe seiner Stirn eingestellt, dann wird klar, warum: Es spielt zunächst Isolation Berlin. Düster, melancholisch, schön. Tobias Bamborschke, der Frontsänger, hat eindeutige Rio-Reiser-Vibes. Singt in sein Mikro: „Manchmal würd ich gerne/ Dem ganzen Dreck entfliehen/ Doch ich versinke in der Isolation/ Berlin.“ Und ich fühle das Gefühl, das er singt. Und ich denke mir, immerhin, in dieser Hinsicht ist Berlin gleich geblieben.

Dann kommen sie endlich, auf die die ganzen 50-, 60-Jährigen hier gewartet haben: Element of Crime. Die ganze Truppe in dunklen Hemden, aber nur Frontsänger und Trompetenspieler Regener wird das Wort ans Publikum richten. Die anderen spielen, spielen, spielen ihren Sound, Sax und Akkordeon inklusive. Drei Zugaben gibt es, obwohl niemand Zugabe ruft. Auch bei ihnen geht es um die Stadt bei Nacht: „Still ist die Stadt/ Die Straßen sind leer/ Müde und wach/ Morgens um vier.“ Es ist heiß und extrem voll im SO, und zwischendurch kippt sogar eine nicht mehr so junge Person um. Kurze Pause, es geht weiter, kein Kommentar dazu. Die Band macht einfach weiter mit dem Programm. Immer ähnlich melancholisch bis lakonisch und doch berührend. Manchmal hat es was von Wirtshausmusik, doch das meiste ist – wie man Element of Crime eben kennt – balladig-jazzig. Es geht um das, was uns doch alle als Menschen anspricht: Liebe(skummer), Einsamkeit, Erinnerungen. Am Ende spielen sie „Ohne dich“ nicht, dafür aber „Am Ende denk ich immer nur an dich“, und ich finde, das passt ohnehin viel besser zu uns, aber das sage ich dir nicht.

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