berliner szenen
: Auf eine wilde Art traurig

Ich rauche im Hof. Meine Freunde sind auf dem unteren Floor der Neuköllner Kellerparty verschwunden. Ein Typ kommt grinsend aus der schwülen Nacht, hält sich einen Finger an die Lippen und zeigt mit dem anderen auf die dunklen Balkone am Haus gegenüber – wie früher. Waren das damals legendäre Partys und ist das jetzt wieder eine? Schwer zu sagen. Ähnelt oft dem Durchqueren einer Wolke, Legenden zu erleben.

Auf dem oberen Floor sehe ich zwei Frauen von der Bar zum DJ-Pult gehen, sie umarmen ihren Vorgänger und dann sich. Sie tragen Shirts, die im Schwarzlicht einer am Pult festgeklemmten Schreibtischlampe leuchten, links heller Kreis auf dunklem Grund, rechts andersrum. Ihre Musik ist gut. Der Ernst, mit dem sie sie einander ins Ohr sprechen, und ihr Gelächter, als die Lampe abspringt: Sie kennen sich schon ewig. Ich gehe meine Freunde suchen.

Sehr viel später komme ich von unten zurück. Sollte man bleiben? Nur noch eine der beiden DJs, die mit dem dunklen Kreis, steht hinter dem Pult. Den hellen Kreis entdecke ich auf der Tanzfläche. Sie wirkt betrunken, ihr Gesicht kommt mir auf eine wilde Art traurig vor. Dunkler Kreis schaut immer wieder besorgt in die Menge. Dann verlässt sie das Podest, bahnt sich einen Weg zu ihrer Partnerin und redet auf sie ein – haben sie sich gestritten? Die Leute gaffen kurz, tanzen dann mit geschlossenen Augen weiter. Was auch immer sie sagt, verfehlt seine Wirkung. Statt zu antworten, kehrt heller Kreis ihr den Rücken und beginnt übertrieben zu tanzen. Sie wirft die Arme in die Luft und grölt zum leeren Pult. Dunkler Kreis schaut erschrocken. Beide Shirts sind so weit von der Lampe eher grau. Jemand zuppelt an meinem Arm: Da seid ihr ja! Abhauen klingt gut. Letzter Blick: Dunkler Kreis legt weiter auf, heller Kreis ist verschwunden.Jonathan Ruyters