Hasard am Himmel

Sie fliegen riskante Manöver, drehen Schwindel erregende Pirouetten, und doch erlegen sich die tollkühnen Piloten in ihren Kisten strenge Regeln auf, damit das „Air Race“ unfallfrei bleibt

VON THOMAS BECKER

Es nennt sich „Red Bull Air Race“ und ist eine Spielart des Kunstfliegens, ein Slalom im Himmel, ein Hindernisrennen gegen die Uhr mit Kunstflugeinlagen. Die Idee: Die neun besten Flieger der Welt messen sich in einem Wettkampf, den spektakulär zu nennen eine unverfrorene Untertreibung ist. Die Rennstrecke ist knapp eineinhalb Kilometer lang, 400 Meter breit und birgt vier bis sechs Hindernisse. Sie kann an einem Flughafen liegen, in Städten, über Wiesen oder vor der Wolkenkratzerkulisse einer Strandpromenade.

Die Hindernisse, 19 Meter hohe, 10 bis 14 Meter breite, luftgefüllte Pylonen aus dünnem Segeltuch, schwimmen auf Pontons im Wasser und müssen in einem vorgeschriebenen Kurs und in definierten Positionen schnellstmöglich durchflogen werden. Gut neunzig Sekunden dauert der Höllenritt; die Kräfte, die dabei am Körper der Piloten zerren, betragen bis zu 10 G – das Zehnfache der Erdanziehungskraft, doppelt so viel wie in einer Achterbahn.

Der blaue Husar

Wer denkt sich denn so was aus? Die Flieger selbst natürlich. Als geistiger Vater gilt der Ungar Peter Besenyei, genannt der Blaue Husar, weil der drahtige Endvierziger im Mechaniker-Blaumann im Flieger sitzt. Spätestens seit 2001 gilt der mehrfache Kunstflugweltmeister als Nationalheld: Mit mehr als 400 Stundenkilometern rauschte er in Budapest wenige Meter über der Donau unter der Kettenbrücke hindurch.

Im Januar sauste er im Rahmen der Ski-Weltcup-Abfahrt in Kitzbühel mit seiner Maschine die Streif hinab, durchflog an der Hausbergkante den nicht gerade riesigen Red-Bull-Bogen. Sein halbes Leben hat er in Flugzeugen verbracht, doch die geringe Akzeptanz bei Publikum und Medien für die Kunstfliegerei hatte ihn immer mehr genervt. Der klassische Kunstflug ist eine ähnlich diffizile Angelegenheit wie das Eiskunstlaufen: Für den Laien ist es fast unmöglich, zu beurteilen, ob die vorgegebene Figur perfekt oder nur ordentlich geflogen wurde. Die reinen Speed-Rennen in den USA empfand Besenyei ebenfalls als zu langweilig, eine Kombination aus beidem schwebte ihm vor. Mit seinen Fliegerkollegen entwickelte er die Idee des Air Race, fand in dem Flugzeugnarren und Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz einen Bruder im Geiste, der zudem das nötige Kleingeld spendieren konnte für einen ersten Event: das Air-Power vor zwei Jahren im österreichischen Zeltweg; 250.000 Zuschauer kamen.

Schon im Jahr darauf gab es eine Miniserie mit drei Air-Races: in Kemble (Großbritannien), in Besenyeis Heimat Budapest und im Fliegermekka Reno (Nevada). Im Jahr 2005 hat die World Series nun Formen angenommen. Der Weltcup findet an Plätzen statt, an denen man Flugzeuge nicht unbedingt erwartet: zwischen riesigen Containerschiffen im größten Hafen der Welt, dem von Rotterdam am Sonntag, über der steirischen Motorsport-Hochburg von Zeltweg (25. Juni), in den irischen Hügeln des Rock of Cashel, einem verwunschenen Schloss aus dem vierten Jahrhundert (24. Juli), in der englischen Parklandschaft von Longleat (7. August), zwischen den Brücken Budapests (20. August) und schließlich vor der Golden Gate Bridge in San Francisco (8. Oktober). Zuerst starteten die Maschinen in Abu Dhabi, der Boomtown schlechthin.

Disziplinierte Altmeister

Man darf sich diese Burschen nicht als tollkühne jugendliche Draufgänger vorstellen, im Gegenteil. Die meisten kommen stinknormal daher. Keine Spur von jungen Wilden: Der Älteste ist 58, der mit Abstand Jüngste 35. Fast alle sind oder waren erfahrene Jumbo-Lenker bei den großen Airlines mit zigtausend Flugstunden auf dem Buckel. Männer, deren Lieblingsworte Präzision und Disziplin sind. Die Spaß haben am Spiel mit den Naturkräften, das Schicksal aber nicht herausfordern.

Nachdem den Piloten beim Rennen in Budapest einige Manöver als zu gefährlich erschienen, verordneten sie sich eine Geschwindigkeitsbeschränkung: Statt der möglichen 450 Stundenkilometer darf nun kein Pilot schneller als 370 Sachen fliegen. Wer zudem „gefährlich“ fliegt, wird disqualifiziert. Das klingt lustig angesichts der halsbrecherischen Pirouetten, die die Piloten in den Himmel zeichnen, ist aber ernst gemeint.

„Wir wollen das Ding einfach sicher machen“, erzählt Klaus Schrodt, der Oldie der Truppe. Der ehemalige Lufthansa-Pilot, der in der Kongokrise in den Neunzigern auch mal spontan als Pilot für Evakuierungsflüge in einer uralten DC 3 einsprang, war im Training der schnellste gewesen und lag auch im Rennen ganz vorn – bis ihn eine Unachtsamkeit zehn Strafsekunden und somit den Sieg kostete: Das vorletzte Hindernis durchflog der Berliner vielleicht einen halben Meter zu hoch – aus der Traum.

Peter Besenyei blieb konzentriert, sicherte sich den ersten Sieg und musste danach eine verdammt schwer aussehende Skulptur als Siegerpokal nach Hause schleppen: einen Bronze-Falken im Sturzflug. Dem World-Series-Gesamtsieger winken am Ende 500.000 Dollar Preisgeld.

Die Maschinen, in denen die Flieger ihrem scheinbaren Hasardeurentum nachgehen, sind aus der Nähe betrachtet verschwindend klein, besitzen mit acht Metern Spannweite beinahe die Maße von Kirmes-Karussell-Flugzeugen für Vierjährige, kosten aber etwa 250.000 Euro und gut 500 Euro Unterhalt pro Flugstunde. Ein Lenkrad sucht man im Cockpit vergebens: Mit einem schmalen Knüppel bewegt der Pilot seine Maschine von rechts nach links, von oben nach unten – oder auch alles zugleich, so genau kann man das gar nicht sagen, wenn man erst mal drinsitzt, schöne Grüße aus der Magengrube. Aber das ist eine andere Geschichte.