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Archiv-Artikel

Im Tee liegt die Hoffnung

KARSTADT Schicksalstag für Arcandor: Am Dienstag sollen die Insolvenzverfahren für das Handels- und Touristikunternehmen eröffnet werden. Doch Karstadt muss weiterleben – sonst droht den Innenstädten der Kollaps. Bekenntnisse eines Dortmunders

Aufstieg und Fall

1881: Karstadt gegründet ■ 1920: Karstadt wird AG, Fusion mit der Althoff-Warenhauskette■ 1929: Karstadt eröffnet das damals modernste Warenhaus Europas am Berliner Hermannplatz. Es wird sich nie rentieren■ 1945: 22 Filialen in der späteren DDR enteignet, andere sind schwer beschädigt ■ 1956: Karstadt betreibt wieder 49 Häuser in Westdeutschland, 1 Milliarde DM Umsatz ■ 1977: Karstadt übernimmt Neckermann, bis 1980 wächst Karstadt Dortmund auf insgesamt drei Häuser an ■ 1981: Karstadt hat 155 Häuser in 122 Städten (Umsatz 9,6 Milliarden DM) ■ 1990: Kooperationsabkommen mit den Centrum-Warenhäusern in der DDR ■ 1994: Karstadt schluckt Hertie ■ 1999: Karstadt verschmilzt mit der Schickedanz Handelswerte GmbH zur Karstadt-Quelle AG■ 2002/2003: Umbau und Renovierung der Dortmunder Häuser■ 2004: Nach Umsatzeinbrüchen muss Karstadt-Chef Wolfgang Urban gehen, der Exmedienmanager Thomas Middelhoff (Bertelsmann) wird Aufsichtsratschef ■ 2005: Middelhoff übernimmt selbst das Ruder und verkauft Tochterunternehmen wie Hertie ■ 2007: Karstadt-Quelle AG wird in Arcandor umbenannt ■ 2008: Massive Verluste, Middelhoff geht zum Jahresende ■ 2009 April: Arcandor/Karstadt verhandeln erfolglos über Staatshilfen ■ 2009 9. Juni: Arcandor stellt Insolvenzantrag (stg)

VON STEFFEN GRIMBERG

Dienstag wird ein schwerer Tag für Dortmund. Nein, nicht die Borussen, der BVB spielt erst wieder übernächstes Wochenende in der Bundesliga. Am Dienstag wird vielmehr das Insolvenzverfahren über den Einkaufs-, Reise- und Versandkonzern Arcandor eröffnet, den die meisten eher unter seinem alten Namen kennen: Karstadt-Quelle

Dass Warenhäuser tot sind, ihre Grundidee des „Alles unter einem Dach“ eben nur gut 100 Jahre gehalten habe und die Zukunft in der „Mall“ liege, diesen merkwürdig schlecht gelüfteten Einkaufszentren aus Amerika, war in den letzten Monaten allenthalben zu hören und zu lesen. Doch wer solche Töne spuckt, ist wohl nie nach Dortmund gegangen: weil man hier und auch nebenan in Essen sehen kann, dass die Mär vom Untergang der Warenhäuser nicht stimmt.

Karstadt Dortmund ist ein imposanter Klotz, Sandsteingranit, gebaut 1904 als „Großwarenhaus Theodor Althoff“. Seit 1920 machten der Westfale Althoff und der aus Mecklenburg stammende Rudolf Karstadt gemeinsame Sache (siehe Kasten).

Neben dem Haupthaus an der Dortmunder Hansastraße gibt es noch zwei weitere Karstadts in Dortmund: das im Volksmund immer noch sogenannte Einrichtungshaus ein paar Meter weiter an der Kampstraße, in dem es schon lange keine Möbel mehr gibt, und das Sporthaus am Alten Markt, das schick via Glasbrücke mit dem Haupthaus gleich nebenan verbunden ist.

Dort sitzt Jürgen Damm in der obersten Etage und sagt wie als Bestärkung, sein Sohn arbeite ja „gleich unten in der Herrenwäsche“. Damm ist Betriebsratsvorsitzender von Karstadt Dortmund, seit über 30 Jahren dabei. Wir sitzen oben, wo eigentlich nur Personal hinkommt, die Verkaufsetagen liegen direkt darunter. Und es schwingt schon ein kleines bisschen Stolz in Damms Stimme mit, dass der eigene Filius auch Teil des Ladens ist.

Doch jetzt blickt Karstadt in eine ungewisse Zukunft, niemand wüsste das besser als Damm senior. Dabei ist Dortmund ein Star unter den noch 90 Karstadt-Häusern, liegt umsatzmäßig unter den ersten sechs, vielleicht auch fünf, sagt Damm, der das ganze Gerede vom Ende der Warenhäuser längst nicht mehr hören kann. Denn was bitte sei denn eine Innenstadt ohne ihre Warenhäuser? „Das Konzept ist nicht veraltet“, sagt Damm, „der Begriff ist vielleicht nicht mehr taufrisch – aber wir sind doch im ständigen Wandel, hier wird dauernd umgebaut.“ Erst kürzlich sei als Untermieter das Teekontor aus Bremen eingezogen – „tolle Sache“, sagt Damm; für Karstadt selbst sei eine Teefachabteilung zu speziell, aber in der Kombination laufe es gut.

Im Tee liegt die Rettung? Natürlich nicht allein. „Aber wo gehen Sie hin, wenn Sie Haushaltswaren oder einfach einen Brauseschlauch in der Innenstadt kaufen wollen?“, fragt auch Filialgeschäftsführer Peter Erb und antwortet sich in den Ruhr-Nachrichten gleich selbst: „Dann kommen Sie zu uns.“

Denn mit Ausnahmen eines Minikaufhofs, der wie angeklebt an den großen Saturn-Markt gleich daneben wirkt, hat Karstadt als einziges der klassischen Warenhäuser in der Dortmunder Innenstadt überlebt: Hertie, Horten, Neckermann – alles längst Geschichte, seit Jahrzehnten schon. Die letzte richtige Lebensmittelabteilung in der City? Karstadt natürlich, Biofleisch und Feinkost inklusive. Der Kaufhof wirbt derweil mit „Treffpunkt für Preisbewusste“, dort gibt’s im Keller – Aldi.

Geiz ist eben auch hier geil, schließlich gehört Kaufhof wie Saturn zum Metro-Konzern, dessen Boss Eckhard Cordes auch an Karstadt interessiert ist: Sollte Cordes mit seinem Konzept einer Deutschen Warenhaus AG zum Zug kommen, würden wohl rund 60 der 90 Karstadt-Filialen weitergeführt – als Kaufhof. Bis zu 5.000 Vollzeitjobs stünden dann zur Disposition. Betriebswirtschaftlich wäre diese Variante für Gesamt-Karstadt wohl trotzdem vernünftig, sagt Jürgen Damm. Doch „mindestens eine Filiale hier in Dortmund geht dann über die Wupper.“

Damit es nicht so weit kommt, waren sie im Juni noch für ihr Karstadt auf die Straße gegangen, in Berlin bei der großen Demo für Staatshilfe beim neuen schönen Bundeswirtschaftsminister. Am Dortmunder Haupthaus hatten sie die Schaufenster zugeklebt. „Ohne Karstadt stirbt die Innenstadt“ oder „Wir sind ein Stück Deutschland“ stand auf den Plakaten. Unterschriften haben sie gesammelt, der Filialleiter Seit an Seit mit dem Betriebsrat und allen MitarbeiterInnen an den Kassen. Fast 20.000 sind zusammengekommen, allein in Dortmund. Genutzt hat es wenig, genauso wenig wie die ganzen Sanierungsrunden, vier waren es innerhalb von fünf Jahren. Heute arbeiten hier rund 750 Menschen. „Vor 15 Jahren waren das noch doppelt so viele“ sagt Damm. Bis heute, bis zum 31., bekommen die MitarbeiterInnen Insolvenzgeld vom Staat. Was danach kommt, müssen Gläubiger und Insolvenzverwalter entscheiden. Dass die Angestellten auf mindestens ein Fünftel ihres Gehalts verzichten sollen, hatte Arcandor-Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg am Freitag allerdings zurückgewiesen. Klar ist: Es gibt diverse Interessenten für Karstadt, auch als Ganzes, mit allen 90 Häusern. Es wäre das Aus für die Pläne von Metro-Cordes. Dass es in Dortmund weitergeht, ist sowieso schon heute klar. Dummerweise nicht, wie.

Denn es gibt auch hier Szenen, bei denen leiser Zweifel an der Kaufhaus-Zukunft aufkommt. Im immer noch sogenannten Karstadt-„Einrichtungshaus“ zum Beispiel. Auf einer kleinen Sonderfläche am Haupteingang stehen unter dem „Alles muss raus“-Schild etwas verloren ein paar Fake-Kamine herum. Das Modell „Helena weiß“ empfiehlt sich allen Ernstes „mit echtem Feuer ohne Rauchentwicklung. Für alle Räume geeignet“. Mitten im Sommer! Immerhin auf 649 Euro reduziert – aber wer braucht so etwas? Und kauft es mal eben im Warenhaus seines Vertrauens, weil er wegen des Brauseschlauchs eh grad da ist?

„Wo gehen Sie hin, wenn Sie in der Stadt einen Brauseschlauch kaufen wollen?“, fragt der Filialleiter

Ein Warenhaus sei nun mal „wie ein Flugzeugträger“, sagt Jürgen Damm, „der kann nicht so schnell rechts ranfahren, sondern liegt länger auf Kurs“. Doch auch hier tut sich was: Mode und Bekleidung, die Keimzelle des Angebots, mit der Rudolf Karstadt anno 1881 in Wismar anfing, läuft immer noch am besten. Der Anteil soll konzernweit ausgebaut werden, Dortmund liegt schon über Trend, sagt Damm. Schrumpfen wird dagegen „Multimedia“, also alles, was mit Unterhaltungselektronik, Computern & Co zu tun hat. Hier hätten Mediamarkt und Saturn den Markt fest im Griff, gerät Damm in Fahrt. Er sagt „Sá-turn“, mit Betonung auf der ersten Silbe, es klingt ein bisschen wie Satan. Dabei hat der Betriebsratschef nichts gegen Wettbewerb. Damm schimpft zwar – aber meint den früher bei Karstadt üblichen, verschlafenen Umgang mit der Konkurrenz. „Ob wir’s mögen oder nicht: Wir müssen unsere Stärken genauso aggressiv rausstellen.“

Besser wär das, denn Karstadt steht bald noch ganz andere Konkurrenz ins Haus: Der auf Einkaufszentren spezialisierte Hamburger Konzern ECE baut mitten in der Dortmunder Innenstadt, vom „Einkaufspalast“ schreibt schon jetzt die Lokalpresse. 33.000 Quadratmeter Verkaufsfläche soll die neue Mall haben, alle Dortmunder Karstadt-Häuser zusammen kommen auf 40.000. „ECE kann auch belebend sein für unsere Innenstadt“, sagt Damm trotzig, aber man weiß nicht recht, was davon echte Überzeugung ist und was Zweckoptimismus.

Dass eine Mall jedenfalls nicht automatisch das Ende der Kaufhäuser bedeutet, lässt sich zwei Städte weiter besichtigen: Ausgerechnet am Arcandor- und Karstadt-Hauptsitz Essen betreibt ECE schon heute den „Center Limbecker Platz“, eigener U-Bahn-Anschluss inklusive.

Wer hier aus den Tiefen des öffentlichen Nahverkehrs ins Konsumreich auffährt, wird von einem aufgemalten Eiffelturm begrüßt, „Bonjour Paris“ steht da in Himmelblau, mitten in Essen. Drinnen gibt es den üblichen Kettenmix von Hennes bis Mauritz, dazu eine magere „Gourmet-Ecke“. Das Ganze hat derart den Charme eines Parkhausfoyers, dass selbst die Dortmunder Fake-Kamine noch Gemütlichkeit versprühen.

Doch dann fällt der Blick nach hinten, wo sich ein Laden gleich über drei Etagen zieht. Zwar erkennt man von außen nur die ewig gleiche Werbung für Brax, Adagio und Gerry Weber, aber über den Zugängen von der „Center-Plaza“ aus steht, klein und bescheiden, ein altbekannter blau-weißer Schriftzug. Der größte Mieter am Limbecker Platz ist – die Karstadt Warenhaus GmbH. Alles wird gut!