Schuld ist Schall und Rauch

Über den neuen Namen einer Straße ist in Celle erbitterter Streit entbrannt: Heide-Städter und SS veranstalteten dort kurz vor Kriegsende ein Massaker – woran Anlieger ungern erinnert werden

von Lukas Sander

Mit der Benennung einer Straße wollen die Grünen im niedersächsischen Celle an ein Massaker erinnern, das Bürger der Stadt vor 60 Jahren an geflohenen KZ-Häftlingen verübt haben. „Straße des 8. April“, so der Vorschlag von Kommunalpolitikerin Juliane Schrader. Doch ihre Idee, so eines der schwärzesten Kapitel in der Geschichte der Stadt nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, stößt auf Widerstand bei Bürgern, Politik und Verwaltung.

Am 8. April 1945, wenige Tage vor der Befreiung der Stadt durch die britische Armee, jagten Celler Bürger gemeinsam mit Wehrmacht, Polizei und SS etwa 300 KZ-Häftlinge durch die Straßen und ermordeten sie. Die Häftlinge waren durch einen Bombenangriff auf Celle aus einem Güterzug befreit worden, der sie von Lagern in Salzgitter ins KZ Bergen-Belsen bringen sollte.

„In Celle haben sich Zivilisten, darunter viele Jugendliche, aus eigenen Stücken an der Tötung der KZ-Häftlinge beteiligt. Mir ist kein Fall bekannt, wo Ähnliches geschah“, sagt die Historikerin Elke Zacharias. Sie ist Leiterin der KZ-Gedenkstätte Salzgitter-Drütte und hat ausführlich zu den Ereignissen geforscht, die in Celle bis heute verniedlichend „Hasenjagd“ genannt werden. Nur wenige Täter wurden nach dem Krieg angeklagt, der letzte kam schon 1952 wieder frei.

Fragt man in Celle nach dem 8. April 1945, zucken besonders Jugendliche mit den Schultern. „Im Geschichtsunterricht haben wir nie darüber gesprochen“, berichten Schüler. Zwar erinnert im Stadtteil Neuenhäusen seit den 90er Jahren ein Mahnmal an die Geschehnisse. Doch die in einer Parkanlage beinahe ebenerdig eingelassenen Metallplatten sind so unscheinbar, dass kaum jemand Notiz von ihnen nimmt. Hier knüpft Juliane Schrader mit ihrem Vorschlag an: „Eine Straße ist eine zufällige Erinnerung, die spontan Fragen aufwirft.“ Ein kleines Zusatzschild könnte die beantworten.

Doch der Gegenwind bläst heftig in Celle. Noch bevor der zuständige Ortsrat den Antrag der Grünen beraten konnte, schaltete sich die Stadtverwaltung ein. Sie empfahl, den Namen „Straße des 8. April“ zu verwerfen. In einer Beschlussvorlage heißt es, mit dem existierenden Mahnmal sei „gebührend und umfangreich an dieses historische Datum erinnert“. „Kann man zu viel erinnern?“, stellten Grüne und SPD-Politiker die Gegenfrage. Doch die CDU-Mehrheit setzte sich mit ihrem Vorschlag „Neuenhäuser Straße“ durch.

Am Rande der Ortsratssitzung lieferten sich Bürger zum Teil heftige Diskussionen. „Die Leute haben nur ihre Pflicht getan“, verteidigten ältere Celler das Massaker. Nur wenige argumentierten dagegen und riefen zu einem offenen Umgang mit der Geschichte auf. „Das zeigt, was noch in den Köpfen vorhanden ist“, so Bernd Zobel, der Vorsitzende der Grünen Stadtratsfraktion. Er will die Diskussion weiterführen: Der Ortsrat hat nur beratende Funktion bei der Straßen-Benennung. Deshalb konnte er den Antrag seiner Parteifreundin Schrader erneut stellen. Voraussichtlich am 5. Juli wird der Celler Stadtrat darüber entscheiden. Auch dort hat die CDU eine klare Mehrheit.