Fliegende Quallen

Steven Spielbergs neue TV-Serie „Taken“ (21.15 Uhr, Pro7) über außerirdische Entführungen: eine pompöse Seifenoper mit einigen Macken

VON HARALD KELLER

Cinephile Snobs lassen es nur ungern gelten, aber Kino und Fernsehen sind enger verschränkt als gemeinhin angenommen. Wo liest man schon, dass Hitchcocks „Cocktail für eine Leiche“ auf einem Live-Fernsehspiel der BBC basierte, dass Sidney Lumets Gerichtsklassiker „Die zwölf Geschworenen“ ein Remake einer Fernsehinszenierung war?

Einer, der das Fernsehen nie (ver-)schmähte, ist Steven Spielberg. Die Live-Fernsehspiele und anthologischen Serien der 50er-Jahre waren prägend für ihn, seine ersten Schritte als Regisseur tat er in Serien wie „Night Gallery“ und „Columbo“. Später, bereits erfolgreich, steuerte er als Produzent Serien wie „Amazing Stories“ und „Emergency Room“, in jüngerer Zeit „Band of Brothers“ und „Taken“ bei.

Interessant wird es, wenn Serienstoffe frühere Spielberg-Werke ergänzen oder erweitern. „Band of Brothers“ war die ungleich realistischere Doku-Fiction-Version der Weltkriegsschnulze „Der Soldat James Ryan“, in „Taken“ lässt Ideengeber Leslie Bohem, der früher bei den Sparks den Bass zupfte, einmal mehr Aliens auf die Erde niederkommen. Sie erscheinen jedoch nicht in Gestalt verschrumpelter E.T.s und reisen auch nicht mit fliegenden Domen wie in „Die unheimliche Begegnung der dritten Art“. Spaßeshalber nahm Bohem die Wahnideen und Verschwörungstheorien ernst, die sich seit den schwerst paranoischen 50ern um das Örtchen Roswell, Ufo-Landungen und angebliche Entführungen durch außerirdische Wesen ranken.

Die Geschichte beginnt 1944, während einer Luftschlacht über Deutschland. Captain Russell Keys (Steve Burton) hat lichtblaue Erscheinungen, wie fliegende Quallen sehen sie aus. Keys wird verletzt, seine Maschine abgeschossen. Der Tod ist unabwendbar. Und doch kommen er und seine Männer davon. Sie werden lebenslang grübeln, wie das zugehen konnte. Denn „Taken“ ist ein Science-Fiction-Epos von Steinbeck’schen Ausmaßen: Die Schicksale dreier Familien werden nachgezeichnet, über eine Zeitspanne von mehreren Jahrzehnten, in zehn knapp 90-minütigen Folgen. Die Begegnung mit den Aliens macht sie zu Opfern, fanatischen Jägern, Verbrechern. Es gibt keine wilden Sternenkriege, dafür genaue Charakterstudien und gewagte Neuinterpretationen realer historischer Begebenheiten.

Neu allerdings ist das nicht. Bryce Zabel verfolgte in „Dark Skies“, 1996 uraufgeführt, ein ganz ähnliches Konzept. Zufall, dass mit Eric Close der damalige Hauptdarsteller auch bei „Taken“ mitwirkt? „Dark Skies“ war straffer, auch deutlich politischer. „Taken“ dagegen ist eine pompöse Seifenoper, bezogen auf die historische Darstellung mit hohen Schauwerten. Zwar immer noch ein Dokument der Verunsicherung, aber in höchstem Maße melodramatisch. Erstaunlich in Anbetracht des betriebenen Aufwands sind die dramaturgischen Schwächen einzelner Episoden, wenn kurzerhand Außerirdische aus dem Nichts erscheinen, um der Erzählung den benötigten Wendepunkt zu verpassen. Das ist bisweilen sehr schematisch, absehbar und erzähltechnisch unbefriedigend. Woraus sich ergibt, dass der Name Spielberg nicht generell als Gütesiegel taugt – enttäuschend insbesondere, wenn man nach dem Meisterstück „Band of Brothers“ auf ein gleichrangiges Anschlusswerk gehofft hatte.