Kommentar von Leonel Steinbrich zur CSD-Parade 2023: Es ist nicht alles bloß Kommerz
Um politische Forderungen erfolgreich umsetzen zu können, braucht es Aufmerksamkeit. Der CSD 2023 hat es geschafft, diese Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Ich bin mit der Erwartung auf den CSD gegangen, einen unpolitischen Umzug mit ordentlich Alkohol und ordentlich Kommerz zu erleben. Freunde von mir lehnen den etablierten CSD mittlerweile ab. Zu viel Werbung, zu durchkommerzialisiert, zu wenig radikal, lautet die Kritik. Nicht ganz zu Unrecht. Was hat es mit queerer Sichtbarkeit zu tun, wenn sich Würstchenbuden und Bierstände dicht an dicht reihen? Was hat es mit Antidiskriminierung zu tun, wenn Wagen mit fetten Logos von Autokonzernen, großen Unternehmensberatungen oder rechtskonservativen Medienunternehmen durch die Straßen fahren? „Pinkwashing“ müsste nächstes Jahr daneben stehen.
Es ist aber nicht dieses Pinkwashing, das mir in Erinnerung bleiben wird. Es sind Menschen, die meine Normvorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit als konstruiert entlarven. Es sind Menschen, die sich mutig so präsentieren, wie sie sind, obwohl es keinem Schönheitsideal oder einem anerkannten Durchschnitt entspricht. Und nicht zuletzt ist es die Rede von Professor Blaise Feret Pokos, der sich kämpferisch gegen das Wegschauen und die Ignoranz stellt. „Wir müssen uns einmischen“, wiederholt er immer wieder. Wie recht er hat!
Wichtiges Selbstbewusstsein
Leonel Steinbrich
ist freier Autor.
Die politischen Forderungen an Entscheider:innen sind wichtig und notwendig. Die Grundlage dafür ist allerdings das gesellschaftliche Bewusstsein, dass Queerness auch 2023 mehr Aufmerksamkeit braucht. Einzelne politische Forderungen bleiben nicht lange in Erinnerung. Bunte Bilder und das Selbstbewusstsein der queeren Community auf dem Christopher Street Day dafür umso mehr. Das ist es, was die Menschen mit in ihren Alltag nehmen werden. Es ist der Grundstein für den andauernden politischen Kampf für queere Rechte.
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