die taz vor 15 jahren: klaus hartungs nachtrag zum jüngsten streit um lafontaine
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Die bundesdeutsche Öffentlichkeit hat den vorerst letzten Konflikt vor der Sommerpause, in den der Kanzlerkandidat seine Partei gestürzt hat, mit einer Mischung aus Häme, Sorge und missmutiger Bewunderung quittiert. Die FAZ mokiert sich zwar über die „Kaprizen“ von Lafontaine, vermutet aber gerade in eben diesen die Chance für einen Wahlerfolg im Herbst.

Der Streit um die Spielarten zwischen Nein, Jein und Ja zum Staatsvertrag war gewiss peinlich für die SPD, doppelt peinlich war er aber für die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik. Sie bangt einerseits um des Kanzlerkandidaten Lust an der Politik. Denn das Nerven tötende Querpassspiel zwischen Regierung und Opposition, seitdem die Einheit der Deutschen auf der Tagesordnung steht, haben alle gründlich satt. Man spürt eine tiefe Beunruhigung, dass diese historische Aufgabe mit einem Mangel an politischen Alternativen, an Prinzipienstreit und Leidenschaft angegangen wird. Andererseits reagieren unsere Meinungsmacher mit ungebremstem Widerwillen auf das unkeusche Angebot, über die Fragen der deutschen Vereinigung in einen grundsätzlich Streit zu treten. Die Öffentlichkeit begleitet träge den Mainstream. Es herrscht das unausgesprochene Tabu, wonach die DDR-Bürger, die sich jetzt auf die schweren Prüfungen der Marktwirtschaft rüsten, nicht noch durch politische Grundsatzdebatten chaotisiert werden dürfen.

Natürlich hat Lafontaine Parteipolitik gemacht, natürlich hat der Kandidat seine Partei überprüft. Aber es ist gar keine Frage, dass seine Kritik am Staatsvertrag ernst gemeint ist. Er hat in diesem Streit nichts mehr getan, als die Ehre des Neins in der Politik zu retten.

Auch wenn man Lafontaine als Taktiker bewundert, sollte man sich deswegen nicht hindern lassen zu erkennen, dass er auch Recht hat. Er hat ein wenig politischen Spielraum zurückerobert. Dass er ihn zuallererst nutzen wird, spricht nicht dagegen.