Maßlos irritierende Preisausschläge

Das neue Energiewirtschaftsgesetz kommt am 1. Juli – dennoch erwarten Branchenkenner für 2006 eher steigende als sinkende Strompreise. Großhandelspreise für Strom sind bereits im letzten Vierteljahr um mehr als 30 Prozent gestiegen

AUS FREIBURG BERNWARD JANZING

Der Weg ist frei: Nach einer zähen mehrjährigen Auseinandersetzung haben sich die Bundesregierung und die im Bundesrat dominierende CDU am späten Freitagabend auf ein gemeinsames Gesetz geeinigt. Damit kann das neue Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) am 1. Juli in Kraft treten. Ein wesentlicher Punkt der EnWG-Novelle: Von einer Regulierungsbehörde, die so genannte Bundesnetzagentur, sollen die Durchleitungsentgelte, die Stromlieferanten für die Nutzung der Netze bezahlen müssen, überwacht werden. Die Kosten der Stromübertragung sollen damit transparenter werden und folglich sinken.

Trotzdem dürfte sich die Hoffnung, dass Verbraucher demnächst billiger Strom einkaufen können, kaum erfüllen. Denn die Netznutzung ist nur eine Komponente in der gesamten Preiskalkulation. Ein anderer Faktor sind die Großhandelspreise der elektrischen Energie – und die sind im letzten Vierteljahr massiv gestiegen, wie die aktuellen Kurse an der Stromhandelsbörse EEX in Leipzig belegen. So müssen – im Gegenteil – Stromkunden in Deutschland spätestens zum nächsten Jahreswechsel sogar damit rechnen, das der Preis der Kilowattstunde weiter steigen wird.

„Dass 2006 eine neue Preisrunde auf breiter Front kommen wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche“, sagt daher auch Aribert Peters vom Bund der Energieverbraucher. Peters geht längst davon aus, dass ein durch die Regulierung erwirkter Preisrückgang bei den Netzgebühren durch die gestiegenen Großhandelspreise mehr als kompensiert werden dürfte.

Denn der Preisaufschlag im Großhandel ist drastisch: Um 30 bis 40 Prozent sind die Notierungen an der Strombörse in den letzten drei Monaten gestiegen. Die Megawattstunde mit Liefertermin drittes Quartal – Anfang März noch für 32 Euro zu haben – kostete am Freitag an der EEX über 42 Euro.

Kontingente für das Kalenderjahr 2006 wurden kaum niedriger mit gut 40 Euro gehandelt. Im Jahr 2004 hatte der mittlere Großhandelspreis am Spotmarkt noch unter 29 Euro je Megawattstunde gelegen. Da sich auch kleine Versorger, die ihren Strom nicht über die Börse beziehen – viele Stadtwerke zum Beispiel – an den Preisen der EEX orientieren müssen, werden auch sie in nächster Zeit vielfach um Preiserhöhungen nicht herumkommen.

Eine Ursache der Börsenhausse sind die international auf breiter Front gestiegenen Rohstoffpreise: Neben Öl- und Gaspreisen haben auch die für Kohle und Uran infolge von Verknappung erheblich angezogen. Uran zum Beispiel ist heute über viermal so teuer wie noch vor fünf Jahren.

Doch allein mit den Rohstoffen ist die aktuelle Preisentwicklung längst nicht mehr erklärbar. Ein Preisanstieg auf über 35 Euro sei durch die Öl-, Gas- und Kohlepreise nicht zu rechtfertigen, heißt es etwa bei der Energiehandelsgesellschaft West in Münster, einem unabhängigen Energiehändler; vielmehr habe der Strommarkt inzwischen ein undurchschaubares Eigenleben entwickelt.

Ebenso berichtet das Handelshaus Stromallianz in Berlin, dass die Branche derzeit „maßlos irritiert“ sei über die Preisausschläge. Und auch der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) lässt wissen, dass die Entwicklung „mit fundamentalen Marktdaten nicht zu erklären“ sei.

Stromhändler sind daher längst davon überzeugt, dass die jüngsten Preise massiv getrieben sind von der Marktmacht der Großerzeuger. Denn immerhin befinden sich 80 Prozent der deutschen Stromerzeugungskapazitäten in den Händen der vier Konzerne RWE, Eon, EnBW und Vattenfall. Indem sich die unterschiedlichen Abteilungen der Konzerne an der Börse gegenseitig Stromkontingente verkaufen – was derzeit nach Erkenntnissen unabhängiger Marktbeobachter geschieht –, lassen sich in einem relativ wenig liquiden Markt die Preise durchaus im eigenen Sinne beeinflussen.

Von einer „großen Marktmacht“ eines „engen Oligopols“ spricht daher auch der VIK. Hinter vorgehaltener Hand kursiert unter Branchenbeobachtern längst das Wort „Marktmanipulation“. Und auch der Bund der Energieverbraucher ist überzeugt, dass die Konzerne die Börsenpreise bewusst hochtreiben – um bei geringeren Erträgen durch künftig sinkende Netzgebühren entsprechend mehr Gewinn mit der Stromerzeugung einzufahren. Für Verbraucher wäre das novellierte EnWG dann am Ende im besten Fall ein Nullsummenspiel.

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