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umgeschwenktBürgermeister mit Signalstörung

Hatte er das Memo nicht bekommen? „Dünnhäutig“ habe Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher reagiert, fand neulich das örtliche Abendblatt. Da hatte die CDU dem Sozialdemokraten vorgehalten, die Hafen- sei auf dem Weg zur „Hauptstadt des Verbrechens“: Das „glaubt Ihnen doch kein Mensch!“, so Tschentscher dann auch an anderer Stelle; gut, am Hauptbahnhof gebe es ein paar Probleme. Aber sonst seien die CDU-Thesen nicht durch Fakten belegt.

In der Tat: Laut Statistik von Anfang Februar zeigte sich die Kriminalitätslage in der Stadt 2022 stabil auf Vor-Pandemie-Niveau – die Zahl der Tötungsdelikte sei sogar „historisch niedrig“. Ja: „Das Risiko, in Hamburg Opfer einer Straftat zu werden, ist damit im Langzeitvergleich so gering wie seit über 40 Jahren nicht mehr“. Bloß: Im Juni wusste – wiederum – das Abendblatt exklusiv von anderen Zahlen: In den ersten fünf Monaten des Jahres kam es demnach zu einem Anstieg „um 21,8 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Jahres 2022“.

Überhaupt aber sind Fakten ja nie die ganze politische Wahrheit; nicht nur, aber gerade bei Themen, die am Sicherheitsgefühl rühren. Dass man das nach 2001 Hamburger So­zi­al­de­mokra­t:in­nen erklären muss, ist das eigentlich Verwunderliche: Damals bescherte ein Polit-Hasardeur mit exakt einem Thema der SPD eine maximale Kränkung – den Verlust der Macht. Und ein wesentlicher Faktor war dabei, wie erfolgreich jener Ronald B. Schill („Richter Gnadenlos“) umzugehen verstand mit Größen wie dem „subjektiven Sicherheitsempfinden“.

Dass sich mit gekitzelten Emotionen mindestens so sehr Politik machen lässt wie mit nüchtern vorgetragenen Tatsachen: Bei Bürgermeister Tschentscher, von Haus aus Labormediziner, scheint das mitunter aus dem Blick zu geraten. Ob dann irgendwer im Kurt-Schumacher-Haus ein Memo losschickt? Aber irgendwas muss vorgefallen sein, denn im „Sommerinterview“ mit dem NDR gab Tschentscher nun weniger den Faktenjockey als vielmehr einen, der verstanden hat: Viel Crime, aber vielleicht noch mehr sichtbares Elend am Hauptbahnhof und drumherum, das ist, was die Menschen bewegt. Weshalb er mehr Polizeipräsenz ankündigte und auch ein befristetes Waffenverbot am kommenden Wochenende – Recht und Ordnung, zumal an der Elbe, sind ein Sozi-Thema.

Das Verwunderliche ist doch, dass man den Hamburger So­zi­al­de­mokra­t:in­nen den Aufstieg Ronald Schills erklären muss: Fakten sind nie die ganze politische Wahrheit; gerade bei Themen, die am Sicherheitsgefühl rühren

Vielleicht war das Memo ja auch ein Anruf oder Kurztext aus Berlin: Der am Ende glücklos gegen Schill in Szene gesetzte SPD-Hardliner hieß 2001 – Olaf Scholz. Alexander Diehl

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