: „Ich finde es zweifelhaft, immer gleich nach dem Verfassungsschutz zu rufen“
Der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst sieht die „Bürger in Wut“ (BiW) in einem Graubereich zwischen rechtem Flügel der CDU und rechtem Flügel der AfD. Das Thema innere Sicherheit der BiW zu überlassen, hält er für keine kluge Strategie linker Parteien
Interview Benno Schirrmeister
taz: Herr Probst, in einem Beitrag haben wir den Anschein erweckt, Ihnen zufolge würden die „Bürger in Wut“ (BiW) als demokratische Partei gelten. Und dieser Anschein war falsch.
Lothar Probst: Ja, das war ein falscher Eindruck. Ich würde so etwas auch niemals sagen. Bürger in Wut sind eine rechte Partei, die sich im Wahlkampf auch rechtspopulistischer Argumentationsmuster bedient. Lustigerweise fühlt sich BiW in einem anderen Interview von mir mit der Berliner Morgenpost als zu extrem rechts dargestellt und will daher mit juristischen Mitteln gegen meine Äußerungen vorgehen. Die Autoren des taz-Beitrags …
… das war ein Gastkommentar von Jura-Prof Andreas Fischer-Lescano und seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Tore Vetter …
… die beiden hatten sich auf einen Radio-Bremen-Beitrag bezogen, in dem ich stark verkürzt zitiert worden bin. Ich hatte darauf hingewiesen, dass sich Bürger in Wut in der Vergangenheit, anders als die AfD in Bremen, am parlamentarischen Prozess beispielsweise durch Kleine Anfragen beteiligt hätten. Das ist wiedergegeben worden, als hätte ich sie damit als demokratisch geadelt – und würde damit Bürgermeister Andreas Bovenschulte kritisieren.
Das war ja der Auslöser der Debatte: Bovenschulte hatte nach der Wahl angekündigt, mit allen demokratischen Parteien zu sprechen – also nicht der BiW. Durfte er das?
Er hatte dazu alles Recht der Welt. Das ist seine Einschätzung. Ich muss sie mir deshalb als Politikwissenschaftler aber noch lange nicht zu eigen machen. Ob die Wortwahl des Bürgermeisters angemessen war – das ist eine andere Frage. Aber selbstverständlich qualifiziert sich keine Partei oder Fraktion allein dadurch als demokratisch, dass sie Anfragen stellt oder vorm Staatsgerichtshof ihre Rechte einklagt. Und selbstverständlich würde ich so einen Zusammenhang auch nicht herstellen.
Wo sehen Sie die BiW denn?
Ich verorte die BIW irgendwo am äußersten rechten Rand des Parteienspektrums – in einem Graubereich zwischen rechtem Flügel der CDU und rechtem Flügel der AfD. Sie ist aber keine Antisystem-Partei.
Anders als die AfD?
Auch da würde ich differenzieren. Aber hier in Bremen hat sich die AfD zumindest als total politikunfähig erwiesen. Und es gibt diese rechtsextreme Strömung um Björn Höcke und andere, die klar antisystemisch ist. Wahrscheinlich gibt es andererseits auch in der AfD Menschen, die ernsthaft bemüht sind, sich am Parlamentarismus zu beteiligen.
Was sie aber nicht zu Demokraten macht?
Das Problem sind die Inhalte und bestimmte programmatische Positionen – ebenso wie bei BiW. Denn BiW bewegt sich mit einigen Positionen in gefährlicher Nähe zu Rechtsextremisten, etwa bei den Kompetenzen, die ein vom Volk gewählter Landtagspräsident ausüben soll.
Die BiW wollen Bremen in ein Präsidialsystem nach amerikanischem Vorbild umwandeln?
Ja, aber ohne die Checks and Balances, die es in den USA ja gibt: Die Vollmachten, die BiW diesem Landesoberhaupt gerne einräumen würden, reichen sehr weit, und damit ist das Modell weit weniger demokratisch als in den Vereinigten Staaten. Aber allein die Vorstellung, einen Landtagspräsidenten direkt vom Volk wählen zu lassen, ist weder eindeutig rechts noch eindeutig antidemokratisch. In solchen Fällen immer gleich nach dem Verfassungsschutz zu rufen, wie Fischer-Lescano und sein Mitarbeiter es indirekt tun, finde ich zweifelhaft. Früher hieß es, dass der Verfassungsschutz abgeschafft gehört – das ist zwar nicht meine Position, war aber Konsens unter Linken.
Bringt uns diese Frage politisch weiter, wer hier der gute Demokrat ist und wen ich nicht tolerieren darf, um nicht die Tyrannei der Mehrheit zu stärken?
Ich glaube nicht, dass das etwas bringt: Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass die rechten Positionen, die BiW in Kriminalitäts- und Zuwanderungsfragen vertritt, sich nicht nur bei ihrer eigenen Wähler*innenschaft finden, sondern auch in der Wähler*innenschaft anderer Parteien. Die Angst vor Kriminalität, besonders unter Älteren, ist gestiegen, auch wenn die Kriminalstatistik etwas anderes sagt – und daran knüpft, zumal nach singulären Ereignissen wie in Brokstedt, die Stimmungsmache von BiW etwa gegen kriminelle Jugendliche an.
„Messerstecher abschieben“ hatte die BiW plakatiert …
Genau, das ist natürlich eklig. Aber gerade deshalb halte ich es für besser, solche Positionen kenntlich zu machen und sie im Diskurs zu dekonstruieren und zu bekämpfen.
Damit man nicht die Opfererzählungen befeuert?
Auch. Vor allem aber neigt das linke politische Spektrums dazu, um dieses ganze politische Feld der inneren Sicherheit einen Bogen zu machen, weil es möglicherweise zu Antworten führen könnte, die einem unangenehm sind. Aber es ist notwendig, auf die Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit – ein Grundrecht – oder auf Eigentumsdelikte durch Gewaltkriminalität und Raub demokratische Antworten zu geben: Dann könnte man der Stimmungsmache durch BiW, AfD und Konsorten wirksamer entgegentreten.
In der Bürgerschaft stellt sich die Frage des Umgangs mit BiW konkret bei der Vergabe von Präsidiums-Posten und Ausschuss-Vorsitzen. Was erwarten Sie da?
Ich bin gespannt, wie man das löst. Aus den Reihen der jetzigen Koalitions-Verhandler höre ich recht einstimmig, dass BiW eine rechtsextreme Organisation ist. Das spricht für eine Blockade, wie sie die anderen Parteien im Bundestag gegen die AfD betreibt. Ob das klug ist, weiß ich nicht: Es erlaubt ihr ja, diese Ausgrenzung als Zeichen dafür darzustellen, dass die anderen Parteien Angst vor ihr haben und sie deshalb ausgrenzen wollen. Das wird hier nicht anders sein.
Naja, den Gesundheitsausschuss einem Coronaleugner anzuvertrauen, wäre schon bizarr gewesen.
Sicher. Und man wird der BiW auch nicht die parlamentarische Kontrollkommission für den Verfassungsschutz anvertrauen. Aber es gibt Ausschüsse, die weniger verfänglich sind.
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