Deutsche Leichtathletik schwächelt: Ferner laufen …
Die deutsche Leichtathletik steckt in der Krise, Athleten können ihre Leistungen nicht abrufen. Trotzdem will der Verband bald wieder unter die Top 5.
Die Deutschen findet man nicht sofort in der Rangliste des internationalen Leichtathletik-Verbandes. Zwei in den Top 100 der Frauen und Männer tauchen dann doch auf: Malaika Mihambo, die Weitspringerin auf Platz 64 und der Speerwerfer Julian Weber auf Platz 73. Der Weltverband stuft die besten Athleten nach einem Punktesystem ein. Die beiden Vertreter des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) mögen in ihren Disziplinen vorn mitmischen, aber in der Generalabrechnung gehen sie im Heer der eifrigen Punktesammler fast unter, obgleich Mihambo Goldmedaillen bei Olympia, EM und WM gewonnen hat und auch Weber in Europa vorn war.
Sie kaschieren ein wenig, dass die deutsche Leichtathletik im internationalen Vergleich stetig an Ansehen und Schlagkraft verliert. Der Tiefpunkt war bei der Weltmeisterschaft im Vorjahr erreicht: schlechtestes Abschneiden bei so einem Championat, nur drei Medaillen. Außerdem konnten die 80 WM-Starter nur sieben Mal einen der ersten acht Plätze erreichen, die Fördergeld vom Bund einbringen. 46 von ihnen überstanden die erste Runde nicht.
„40 bis 45 Prozent der deutschen Athleten konnten ihr Leistungsvermögen nicht abrufen“, sagte Cheftrainerin Annett Stein damals in Eugene. Vor den Deutschen Meisterschaften in Kassel an diesem Wochenende verspricht Stein nun vollmundig, die deutsche Leichtathletik wolle schon im Jahr 2028 wieder unter „den Top 5“ sein. Das ist ein mehr als ambitioniertes Ziel, bedenkt man, dass der DLV auf Platz 19 in den USA kam, hinter Peru, Grenada oder der Dominikanischen Republik. „Einige Veränderungen sind erforderlich“, sagt Stein, „aber wir sind auf einem guten Weg, und auf europäischem Gebiet sind wir konkurrenzfähig.“
Das Zusammengehörigkeitsgefühl im Team sei gut, aber sie relativiert auch: Bei der kommenden WM in Budapest (19. bis 27. August) seien die meisten Sportlerinnen und Sportler „zwar nicht medaillenfähig, aber doch leistungsfähig“. Cheftrainerin Stein muss, beschreibt sie den Ist-Zustand ihres Verwaltungsbereiches, des öfteren ein Wort bemühen, das eher negativ konnotiert ist: „Irritationen“. Diese Irritationen gebe es hier und da, und auch die 5.000-Meter-Europameisterin Konstanze Klosterhalfen habe zuletzt eine solche Irritation erlebt.
„Noch nicht so weit“
„Sie ist in der Leistungsdarstellung noch nicht so weit“, sagt Stein etwas gestelzt. Man könnte auch sagen: Sie ist noch längst nicht in der Form vergangener Jahre, allerdings hat die überaus schmächtige Läuferin (47 kg) auch bewegte Monate hinter sich. Sie verließ heuer ihren Sponsor Nike und unterschrieb einen Vertrag beim Sportartikelhersteller Puma. Vom US-Bundesstaat Oregon, wo sie einst beim Skandaltrainer Alberto Salazar und dessen Nike Oregon Project unterschlüpfte, um ihre Leistung zu pushen, wechselte sie nach North Carolina zu Übungsleiter Alistair Cragg. Zurück an der Westküste blieb ihr Trainer Pete Julian, den sie vorher stets als „Weltklasse-Coach“ betitelt hatte.
Klosterhalfen überzeugte vor über einem Jahr noch mit dem drittschnellsten Halbmarathon-Debüt einer Europäerin, gewann auch Cross-Gold mit der Mannschaft bei der EM, aber bei der Hallen-EM musste sie über 3.000 Meter eine schmerzhafte Niederlage gegen eine Läuferin aus dem eigenen Lager hinnehmen: Hanna Klein. Im Spurt war sie unterlegen. Umgehend kündigte Klosterhalfen an, an ihrer Schnelligkeit auf den kürzeren Distanzen zu arbeiten, also über 800 und 1.500 Meter.
Bei den Deutschen Meisterschaften startet die immer noch etwas verhuschte 26-Jährige nun über 800 Meter, ein Rennen, das sie wohl kaum gewinnen wird, denn in der deutschen Rangliste steht sie mit ihrer Zeit von 2:05,98 Minuten nur auf Platz 11, deutlich hinter den Favoritinnen Majtie Kolberg und Christina Hering. Klosterhalfen wird testen wollen, ob sie wieder besser drauf ist.
Nach ihrem letzten Platz über 5.000 Meter beim Diamond League Meeting in Stockholm, der wichtigsten Wettkampfserie, veranlasste sie ein sogenanntes großes Blutbild, um der „Irritation“ auf den Grund zu gehen. „Wir können noch mit einer großen Leistungsentwicklung bis zu WM rechnen“, verspricht die Cheftrainerin. Mut macht ihr wohl das Szenario aus dem Vorjahr.
Da klagte Konstanze Klosterhalfen nach einer Corona-Infektion zwei Monate vor der EM in München über Trainingsrückstand, nur um dann zur Überraschung vieler Experten über 5.000 Meter groß aufzutrumpfen. Sie ist zäh, ehrgeizig bis zur Verbissenheit. Der DLV braucht mehr von diesem Schlag, will er seine Athleten wieder an die internationale Spitze führen, in die Top 100 des Weltverbandes. „Wir versuchen jetzt – salopp formuliert –, die PS auf die Straße zu bringen“, sagt der neue Sportdirektor des Verbandes, Jörg Bügner.
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