„Wozu gab Gott uns Haare?“

Kopftücher polarisieren. Die CDU wird sie nach Regierungsantritt für LehrerInnen verbieten, auf der Straße sind sie Alltag und genauso umstritten. Gespräche in einem Duisburger Einwandererviertel

VON THOMAS DUDEK

„Gut, gut. Geschäft gut“, sagt der bärtige Verkäufer. Mehr Deutsch kann er nicht. Türkisch reicht aus, um seine Waren unters Volk zu bringen: Samoware, Gebetsteppiche, Bücher, alles „Made in Turkey“. In den Schaufenstern des Geschäftes „Gözde Import“ in Duisburg-Rheinhausen präsentieren Schaufensterpuppen die neuesten Kopftücher. Diese Werbung lohnt, denn hier bedecken viele Türkinnen, egal ob jung oder alt, ihr Haar.

„Man fühlt sich schon in Anatolien“, schimpft ein Rentner. „Fehlt noch, dass die sich hier eine riesige Moschee hinstellen, von der der Muezzin täglich herunterschreit.“ Die Vorstellung macht ihm Angst, er habe auch deshalb zum ersten Mal CDU gewählt, erzählt er, obwohl er „als Malocher“ immer für die SPD gestimmt hat. Seine Frau, die hinter ihm mit den Einkaufstüten steht, nickt zustimmend.

Angst. Auch Günay Mavis kennt dieses Gefühl seit dem 22. Mai gut. Schon vor dem Wahltag hat sie sich vor einem Sieg der CDU gefürchtet. Sie hat Angst um ihren Job im öffentlichen Dienst, „da Herr Rüttgers keine Landesbediensteten mit Kopftuch haben möchte.“ Die 31-jährige Verwaltungswirtin besuchte während des Wahlkampfs CDU-Veranstaltungen, um die Argumente für das geplante Kopftuchverbot zu verstehen. „In der Türkei gibt es auch ein Kopftuchverbot“, hörte sie dort. Da kann sie nur den Kopf schütteln: „Wie kann sich eine deutsche Partei bei ihrer Gesetzgebung an einem Land orientieren, dem sie den EU-Beitritt verweigert?“

„Die Qualifikationen sollten bei der Jobsuche entscheidend sein“, sagt die 27-jährige Fehime Biligen, die ihr Haar nicht verhüllt, obwohl sich die Eltern darüber freuen würden. „Ich bin gläubig, faste und versuche traditionell zu leben. Weil ich kein Kopftuch trage, werde ich für modern gehalten.“ Bei dem Wort „modern“ macht die Kauffrau mit ihren Fingern Anführungszeichen in der Luft. „Man missversteht das Kopftuch als ein Symbol für den fundamentalistischen Islam. Außerdem,“ fügt sie hinzu, „verwechselt die CDU Integration mit Assimilation.“

„Die Frauen sind in einem Dilemma“, erzählt Ali Kalkan, Türkischlehrer an einer Duisburger Grundschule. „Sie wollen wie westliche Frauen leben, berufstätig, erfolgreich und sexy sein. Anderseits gibt es Traditionen, die sie nicht aufgeben wollen oder, wegen ihrer Familie, nicht aufgeben dürfen. Dadurch entstehen oft seltsame Kompromisse.“ Vor einem Jahr musste er an seiner Grundschule einen kleinen Kopftuch-Skandal lösen. Eine junge türkischstämmige Referendarin verhüllte ihr Haar, doch ihre Kleidung war so eng, dass sich Lehrerkollegen und Eltern beschwerten. „Angeblich konnten sich sogar die Knirpse der vierten Klasse nicht auf den Unterricht konzentrieren.“ Als Ali Kalkan sie deswegen ansprach, meinte sie nur, dass sie die Vorschriften ihrer Religion befolge. „Ich bin eine gute Muslima, ich verhülle mein Haar.“

Ein Argument, das für die 27-jährige Yasemin nicht zählt. „Hinter dem Kopftuch versteckt sich eine Doppelmoral. Nach außen gläubig, aber im Herzen lässt die Moral zu wünschen übrig.“ Dann fragt sie rhetorisch: „Wozu hat Gott uns Haare gegeben?“, und hält dabei eine Haarsträhne in die Sonne. „Ich glaube nicht, damit wir Frauen sie verstecken.“ Für sie ist das Kopftuch ein fundamentalistisches Symbol. „Der türkische Staat weiß schon, weshalb er das Kopftuch verbietet.“

„Vor einigen Jahren haben nicht so viele junge Frauen Kopftücher getragen“, erzählt Naime Bilmen. Der 28-Jährigen macht diese Entwicklung Angst, obwohl ihre Mutter selber ein Kopftuch trägt. „Es ist schon ungewöhnlich, dass immer mehr Frauen, die hier in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, ein Kopftuch tragen. Anstatt sich zu integrieren grenzen sie sich freiwillig aus.“ Für sie ist das Kopftuchverbot eine logische Konsequenz, sie begrüßt es. Nach kurzem Schweigen fügt sie hinzu: „Es besteht aber auch die Gefahr, dass sich die Kopftuchträgerinnen nach einem Verbot noch mehr radikalisieren. Allein schon aus falschem Stolz.“

Stolz. So argumentieren auch die Kopftuchträgerinnen in Orhan Pamuks Roman „Schnee“. „Ja, ich trage mein Kopftuch aus Stolz“, sagt auch die 22-jährige Sevtap, die in der Duisburger Stadtmitte mit ihrer Freundin in einem Eiscafé sitzt. Die Worte sind fast die gleichen, wie im Buch, nur dass das Buch im osttürkischen Kars spielt. „Wissen Sie“, meint Ali Kalkan, „die Debatte unter den hier in Deutschland lebenden Türken um das Kopftuch, ist nichts anderes, als ein Spiegelbild der innertürkischen Verhältnisse.“ Im Buch begingen einige Frauen Selbstmord, da sie das Kopftuch ablegen sollten. Doch ein Roman ist zum Glück Fiktion.