ausgehen und rumstehen
: Vergleichende Stadtfestforschung: Hippies in Kreuzberg sind blöder als „48 Stunden Neukölln“

Am Samstagnachmittag herrschte wieder eine solche vielzitierte Schafskälte, dass man sich nur glücklich schätzen konne, nicht auf ein Open-Air-Festival – zum Beispiel in die Wuhlheide zum Politikspektakel mit Sir Bob Geldof und Fanta 4 – gegangen zu sein. Lebhaft ließ sich diese nasskalte Veranstaltung vom warmen, trockenen Sofa zu Hause aus imaginieren: die feuchten Bänke, die kalte Luft, das klamme Gefühl.

Nach ein paar Stunden wird aber auch das Imaginieren langweilig – und doch beginnt viel Elend damit, dass der Mensch denkt, er müsse mal raus. Für einen kurzen Moment schien die Sonne und so beschloss ich, mich spazierend draußen zu ergehen und nebenbei das Straßentheaterfestival „Berlin lacht“ auf dem Mariannenplatz zu besuchen. Man weiß ja, was einem bei so einem Fest erwartet: Chinapfanne und Yogitee, Caipirnha-Variationen, Batiktücher und Federschmuck. Und so war es dann auch. Vor der Kirche spielte eine alternative Blaskapelle, mit lustigen selbst gebastelten Hüten, auf, und im Publikum tanzte ein Greis mit langem grauem Haar ekstatisch dazu.

Überall auf dem Platz: Jongleure und Clowns. Eine bunt geschminkte Stelzenläuferin deklamierte einen Text. „Nun, wenn es der Kinderbelustigung dient, warum nicht?“, dachte die tolerante Kreuzbergerin da noch. In den hohen Bäumen hingen leere Abendkleider, die hin und wieder zuckten, das war ein schönes poetisches Bild, Straßentheater an sich war zuerst nicht ausmachen. Dann aber kamen zwei Uniformierte vom Ordnungsamt und wollten die vielen friedlich freilaufenden Hunde irgendwie zur Ordnung rufen – manche Besitzer bastelten sich pflichtschuldig aus Schal oder Pullover schnell eine Leine, wenig später mussten die Beamten aber aufgeben, weil die Hunde sich zu Spiel- und Laufrudeln zusammengetan hatten und Einzelbesitzer nicht auszumachen waren. Ratlos standen die Ordnungshüter am Rande des Festes.

Auf der Hauptbühne gestikulierte derweil eine Blondine im Cheerleaderkostüm und warf Reifen, später kam ein einradfahrender Koch dazu, und plötzlich, als ich noch irgendwie eine Handlung, einen Sinn in diesem albernen Spektakel finden wollte, kam in mir der alte Hass hoch: diese Hippiescheiße, dieser Zirkus-Quatsch, dieses einfältige Zelebrieren einer Pseudo-Fantasie-Pseudo-Anarchie! Woher kommt diese scheußliche Straßenfest-Alternativkultur, der man hier seit über zwanzig Jahren ausgesetzt ist, woher kommt sie, und warum hört sie nicht auf?

Während ich selbst mutmaßte, dass auch daran irgendwie die Grünen schuld sein könnten, wiesen andere Befragte auf die UFA-Fabrik als Verursacher hin oder meinten, wir Kreuzberger hätten uns das selbst zuzuschreiben, in anderen Stadtteilen wäre man davon verschont …

Am nächsten Nachmittag war ich schon wieder wahnsinnig ausgeruht, weil ich Samstagnacht zu Hause geblieben war, getreu der alten Devise: Samstagabends gehen nur die Deppen aus! Also ging es zur vergleichenden Stadtfestforschung in den Nachbarbezirk Neukölln. Dort fanden gerade die Aktionstage „48 Stunden Neukölln“ statt. Im Saalbau Neukölln war man dem „Mythos Bohème“ mit Objekten, Rauminstallationen und Diskussionen auf der Spur.

Vor dem Job-Center an der Neukölln-Passage war der karge Hartz-IV-Warenkorb aufgebaut. Und tatsächlich: Man sah weder im Zuge des Spektakels noch jenseits von ihm Weißgeschminkte, Einradfahrer oder Jongleure! Wir zogen weiter durchs friedliche Neukölln, im beschaulichen Rixdorf führten Kinder Volkstänze aus verschiedenen Ländern auf, keine Stelzen, kein Einrad und auch keine Sambatrommler weit und breit …

„Neukölln, du hast es besser!“, rief ich innerlich aus und machte mich, den Mariannenplatz großräumig umfahrend, auf den Heimweg. CHRISTIANE RÖSINGER