Fördern und Fordern

1990 gründete sich die Kulturinitiative „Förderband“. Über 100 Projekte hat sie seitdem unterstützt, darunter den Pfefferberg und das Tacheles

Tim spricht Schiller. Er steht auf einem Podest, die Perücke tief ins Gesicht gezogen, und rezitiert den Klassiker. Der jungenhafte Mime Anfang 20 war bis vor kurzem arbeitslos. Nun ist Tim Teilnehmer an einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und gehört zum Line-up einer Straßenaktion des Kunstraums Schillerpalais in Neukölln. Seine neue Rolle hat der Schauspieler einem berlinweiten Netzwerk zu verdanken: der Kulturinitiative Förderband.

Dessen Entwicklung ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Berliner Kulturlandschaft. Gegründet wurde das Netzwerk in der Wendezeit unter anderem von Heiner Müller, Christa Wolf und Christoph Hein. Heute Abend feiert es sein 15-jähriges Bestehen.

Zu Anfang standen die Initiatoren vor der Herausforderung, auf die Auf-, Um- und Zusammenbrüche der subventionierten DDR-Staatskultur zu reagieren. Kurz darauf waren sie mit ganz ähnlichen Phänomenen im nachbarlichen Berliner Westen konfrontiert, samt den bekannten Reaktionen seiner Betroffenen: Staunen und Ratlosigkeit. Da hatten die freien Kulturmanager und -strategen aus Mitte wirklich etwas anzubieten: praktische Erfahrungen, wie man Wege aus der Krise findet.

Inzwischen gehören zu dem Bündnis über 40 Adressen vom Wedding bis tief in den Berliner Süden. Mehr als 100 Projekte aus der Profikultur, aber auch der gemeinwesenorientierten Lokalarbeit haben sich seit seiner Gründung von der Kulturinitiative beraten lassen, darunter Urgesteine wie das Tacheles, der Pfefferberg oder die Stadtteilzeitung Scheinschlag. Der pragmatische und ideologiefreie Vernetzungsgedanke war die Grundvoraussetzung für die breite Akzeptanz des Vereins mit heute 37 Mitgliedern.

Nach einem Aufruf in einer Tageszeitung kommt es im Januar 1990 in Pankow zur offiziellen Vereinsgründung. Erste Vorsitzende wird die Bildhauerin Katrine Cremer. Die Stimmung ist euphorisch. Doch dass der Abschied von den bürokratischen, auch einengenden Strukturen des Staatssozialismus auch ein Weg in das berufliche Aus bedeuten könnte, ahnt kaum jemand. „Da waren wir damals ein bisschen größenwahnsinnig“, sagt eine der Beteiligten heute.

Kein Debattierklub

Man diskutiert gern und leidenschaftlich in der bunt zusammengewürfelten Truppe; jung und alt, Einsteiger und Erfahrene, Schmuddelkinder und Medienlieblinge. Ein Debattierklub will man jedoch nicht sein – es geht um die praktische Umsetzung. Es galt, zu planen, neue rechtliche Grundlagen zu ergründen und in den Umbruchswirren auch den ein oder anderen Freiraum zu besetzen, bevor er verloren ist. Förderband beteiligte sich etwa maßgeblich an den Aktionen um den Pfefferberg. Nach heftigem Tauziehen mit den Behörden gelingt es, aus dem ehemaligen Fabrikgelände eine „Kulturfabrik“ zu machen.

Heute ist das Netzwerk oft gefragt, wenn bestehende Kultureinrichtungen Beratungsbedarf anmelden. Die Probleme sind dabei unterschiedlich, auch wenn alle Projekte in der Regel unter Mangel an Geld und Mitarbeitern leiden. Den Wasserspeichern in Prenzlauer Berg z. B. fehlt es nicht etwa an erfolgreichem Programm oder Publikum – das beliebte, denkmalgeschützte Ensemble ist nur in den Sommermonaten nutzbar. Ein kommerzielles Konzept schließt das praktisch aus.

Förderband hilft hier, temporäre Projektteams in Kooperation mit der Arbeitsagentur zu etablieren: Mitarbeiter für die Konzeption, Verwaltung, Grafik oder Tontechnik. Sechs ehemals beschäftigungslose Profis produzieren in dieser Saison die interdisziplinäre Veranstaltungsreihe „Reservoirs IX“ der Wasserspeicher. Darüber hinaus beraten die meist weiblichen Coachs der Kulturinitiative in Fragen der Organisation und des Akquirierens von Fördergeldern.

Retter des Theaterhauses

Als sich vor wenigen Monaten der Förderband-Partner Theaterhaus Mitte mit Übernahmeforderungen einer finanzkräftigen Privatschule konfrontiert sah, entwickelten die erfahrenen Kulturorganisatoren mit dem bedrängten Projekt öffentlichkeitswirksame Presseauftritte. Und obsiegten. Zurzeit begeistern in dem Haus am Koppenplatz polnische Spitzenperformer.

Ein umstrittenes Element der Projektförderung ist die Vermittlung von AB-Maßnahmen sowie 1-Euro-Jobs. Mehrere tausend beschäftigungslose Künstler und Kulturarbeiter, Konzertmusiker, Bühnenbildner, Komponisten, Kuratoren und Regisseure sind dank der Kulturinitiative auf dem zweiten Arbeitsmarkt angestellt worden. „Ist es nicht besser, wenn ein Schauspieler mit Hartz IV in seinem Beruf arbeiten kann, statt Hecken zu schneiden?“, sagt Dorothea Roewer, Geschäftsführerin von Förderband.

Auch wenn nur wenigen der so Vermittelten rasch der gewünschte Sprung in ein festes Engagement gelingt, so bewirkt der neue Job doch zumindest zweierlei: den Erhalt und die Förderung eigener Begabungen und Fähigkeiten und die Unterstützung einer Kulturinstitution mit dem eigenen human capital vor allem dort, wo es an hartem Kapital mangelt.

In einem Laden an der Torstraße 150 findet sich nach dem jüngsten Umzug die 15-köpfige, überwiegend weibliche Belegschaft des Planungsbüros. Neben hochpreisigen Design-Stores, nervösen Casting-Agenturen und mitten im Zeitgeist ist Förderband offensichtlich gut aufgehoben. MARKUS PACHOWIAK

Heute ab 18 Uhr feiert das Netzwerk sein 15-jähriges Bestehen im Hof des Theaterhauses Mitte am Koppenplatz