wortwechsel
: Prigoschin, Putin – Putsch? Chaos oder „Verwirrspiel“?

Den Marsch auf Moskau haben die Wagner-Söldner nach einem Tag abgebrochen. Droht jetzt ein Militärfaschismus? Erleben wir „den Anfang vom Ende Putins“ – im Bürgerkrieg?

Rede an die Nation, 26. Juni: „Diejenigen, die den Militäraufstand organisiert, die Waffen gegen ihre Mitstreiter erhoben haben, haben Russland verraten“  Foto: Gavriil Grigorov/Sputnik/ap

„Frankenstein und sein Monster. Wagner-Aufstand in Russland“,

taz vom 26. 6. 23

Hybrider Bürgerkrieg?

Der Verlauf dieses selbst ernannten Gerechtigkeitsmarsches in Richtung Moskau war von der Spannungsdynamik vergleichbar mit einem cineastischen Meisterstück aus Kriegsfilm und Thriller, wurde zu einem Film mit nur einem einzigen Hauptdarsteller, Jewgeni Prigoschin, dem Kriegsverbrecher in der Optik des Vorbilds Mussolini mit einem Marsch auf die Hauptstadt. Entscheidend war hierbei auch die Bestätigung von Prigoschin, dass die Ukraine keinen Angriff auf Russland geplant hat, womit die offizielle russische Argumentation von einer defensiven „Spezialoperation“ entkräftet wurde. Nach dem hybriden Krieg folgt nun der „hybride Bürgerkrieg“.

Über viele Jahre, als die Wahlen in Russland noch nicht so stark manipuliert werden mussten, waren Putins toxische Männlichkeit und der um ihn geschaffene Kult eines starken Führers eine feste Stimmengarantie. Nichts anderes wählt nun auch der Oligarch Prigoschin, welcher in einer kurzen Zeit das Image des volksnahen und elitefeindlichen Helden aufbauen konnte, dessen Brutalität und Führerkult bei Weitem das Bild des russischen Präsidenten übertrifft. An nur einem einzigen Tag hat Wagner die Kontrolle über eine Millionenstadt übernommen, wichtige Armeeführer verhaftet, mehrere Flugzeuge und Hubschrauber abgeschossen und in einem blitzkriegartigen Tempo die Grenzen der Moskauer Oblast erreicht. Auch wenn sich am Abend schon ein Interimsfrieden abzeichnete, markiert dieser Tag die vollständige Erosion von Putins Machtapparat. Natürlich ist Prigoschin sich im Klaren darüber, dass er mit dieser Überschreitung des Rubikon auch sein Todesurteil unterschrieben hat. Ob dieser Interimsfrieden notwendig war, da doch kein signifikanter Anteil der russischen Streitkräfte übergelaufen ist, das ist ein mögliches Szenario, wobei auch zu hinterfragen ist, wieso die russischen Landstreitkräfte ihn so einfach passieren ließen. Die Vermutung liegt nahe, dass der 24. Juni Kräfte in Gang gesetzt hat, die eine historische Tragweite haben werden.

Oleg Tarasov, Frankfurt a. M.

Wo steht die Armee?

Der Chef der kriminellen und rechtsextremistischen Wagner-Söldnertruppe wagte den Aufstand gegen Zar Wladimir und hatte bereits ohne jeglichen Widerstand die Millionenstadt Rostow am Don eingenommen. Auf wessen Seite steht die einst ruhmreiche Rote Armee, auf Putins oder Prigoschins Seite? Kommt es etwa zu einem russischen Bürgerkrieg, der am Ende auch zu einem Waffenstillstand und zu Friedensverhandlungen mit der Ukraine führen kann? Die russischen Wagner-Söldner haben Kriegsverbrechen im Ukrainekrieg eingestanden: „Wir haben Kinder getötet!“ Aber warum heißt diese russische „Mörder-Truppe“ eigentlich „Wagner-Truppe“? Sie gaben sich in Anlehnung an das sogenannte Dritte Reich den Kampfnamen „Wagner“, weil Hitler den deutschen Komponisten Richard Wagner sehr schätzte und verehrte. Das zeigt, wer im Ukrainekrieg die wahren Nazis sind – die „Putin-Russen“ und nicht die Ukrainer. Roland Klose, Bad Fredeburg

Hinter den Kulissen

Weder der Tod vieler Menschen noch das Leid von Kindern, noch die Erdbeben in Sachalin vom 7. Februar 23 mit ihren verheerenden Folgen hielten Putin davon ab, seine Ziele weiter zu verfolgen. Natürlich werden hinter den Kriegskulissen die Fäden gesponnen – ein echtes Spinnrad hätte Mühe, so viele Drehungen zu schaffen. Selbstverständlich halten viele Oligarchen, viele Reiche, viele Po­li­ti­ke­r*in­nen mit und ohne Macht in internationalen Gewässern nicht still. Prigoschin und die Wagner-Söldner, Kadyrow und die Tschetschenen, alles, was gegen Putin und gegen den Kreml kämpfen kann und könnte, wird mit Waffen und Geld gefüttert. Den Krieg entscheidet nicht das Schlachtfeld, den Krieg entscheiden die, die heute und morgen blutrünstige und brutale Söldner für die Sicherung ihres Reichtums und ihrer Macht töten lassen. Der Ukraine könnte diese Strategie ganz sicher nützen. Roswitha Halverscheid, St. Léger sur Vouzance

Alle wollen nach Hause

Dass die Wagner-Söldner sich als Belohnung für ihren Putschversuch nun aussuchen dürfen, ob sie wieder an die Front wollen, nach Belarus ausreisen oder nach Hause fahren, das werden die Offiziere und Soldaten der regulären Armee mit großem Interesse zur Kenntnis nehmen. Wer will nicht nach Hause …

Die Möglichkeit, dass irgendwer Putin demnächst aus dem Verkehr zieht, ist gegeben, aber auf so was kann man sich natürlich nicht verlassen. Die Reaktion der Bevölkerung war aber in der Tat sehr erhellend, weil sie zeigt, dass am Tag X niemand für Putin auf die Straße gehen wird. Selbst Polizisten und Rosgardija haben wenig Motivation gezeigt, für Putin ihr Leben zu riskieren. Es wird also womöglich erst enden, wenn die Armee komplett zerstört und geschlagen ist beziehungsweise tatsächlich nach Hause geht. Je besser die Ukrainer ausgestattet werden, desto schneller wird es gehen. Barbara Falk

Was tut Putin, wenn er in die Ecke gedrängt wird? Nun wissen wir es – er macht Zugeständnisse! Charlie Foxtrot auf taz.de

Wieso eigentlich „Frankenstein und sein Monster“? Ich finde, Prigoschin ähnelt mehr dem Herrn aus dem Film „Nosferatu, Phantom der Nacht“. Die Ähnlichkeit ist frappierend. Die Nase … die Ohren … Sabine Dettmann auf taz.de

Vermutlich überschätzt man auch ein wenig die Auswirkungen des Marsches von einem durchgeknallten Söldnerchef. In Russland wird sich vermutlich nicht viel ändern oder wenn, dann allenfalls, dass der Krieg in der Ukraine eskaliert wird, um den rechten Kritikern etwas entgegenzukommen. Bisher wird der Krieg, auch wenn das zynisch klingen mag, auf Sparflamme geführt. Leider ist da noch sehr viel Eskalationsspielraum vorhanden. Alexander Schulz auf taz.de