berliner szenen
: Eine Fürstin wohnt im Hinterhof

Vor Kurzem stolperte ich über eine Schlagzeile bei der Konkurrenz. „Ich setze mich immer an erste Stelle!“, stand dort. Es ging um Singles, die behaupten, auch ohne romantische Beziehung gut klarzukommen. Tatsächlich fiel mir ad hoc niemand ein, auf den diese Mutmaßung zutreffen könnte. Mich selbst eingeschlossen. Allerdings gibt es eine neue Hausgenossin im Haus. Mit der verhält es sich anders.

Die schwarz getigerte Katze, die seit Wochen wie eine Fürstin im Hinterhof residiert, hat mit ihrem Singledasein allem Anschein nach kein Problem. Warum sollte sie auch? Von den Nachbarn wird sie reichhaltig mit Futter und anderen Zuwendungen versorgt. Auch ich befasse mich gern mit dem Tier und genieße dessen wohlige Ausstrahlung, wenn ich das samtweiche Fell berühre. Gestern schien es leider nicht gut drauf zu sein. Zwar blickte es in meine Richtung, aber der Kältestrahl der Augen ging glatt durch mich hindurch. Vielleicht kam meine Streicheleinheit eine Spur zu unbeteiligt rüber. Vielleicht war ich nicht mit ganzem Herzen dabei. Aber was hätte mich ablenken können? Wo war mein Herz, wenn nicht bei diesem überirdischen Wesen? Bei der Steuererklärung, die ich bereits Monate vor mir herschiebe? Oder beim Abendessen, das ich längst hatte zubereiten wollen? Der dazu nötige Einkauf war ebenfalls noch nicht erledigt und das Katzenfutter auch schon wieder alle.

Mit einem Mal sprang das Tier auf. Meine Mitbewohnerin, die nach eigener Aussage Katzen nicht leiden konnte, hatte den Hinterhof betreten, beide Hände schwer beladen mit Einkaufsbeuteln. Sofort war das Tier bei ihr und strich ihr mit erhobenem Schwanz um die Beine. Gut gelaunt rief sie mir zu: „Kannst du dich bitte auch mal um die Katze kümmern? Ihr Futter liegt oben drauf.“

Henning Brüns