Das Schema von Freund und Feind

INTELLEKTUELLE Rainald Goetz im Nachtleben und bei Niklas Luhmann

Irgendwann in den Neunzigern hielt Niklas Luhmann während eines Wintersemesters eine Gastvorlesung im Hauptgebäude der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität. Der Saal war voll, und regelmäßig anwesend war auch Rainald Goetz, wie besessen schreibend. Im Nachtleben war er mir schon begegnet, etwa bei einem Auftritt von Henry Rollins, als er vor der Bühne stand und die Fäuste ballte. Das wunderte mich nicht.

Aus der Luhmann-Vorlesung kam ich erfrischt. Auch, weil mir seine Art zu sprechen gefiel. Understatement, fast Pop. Ich frage mich, ob und wie das bei Goetz ankam. Wenn Luhmann zum Beispiel davon gesprochen hat, dass ihn Carl Schmitts Theorie nicht überzeugt hat, weil für ihn, Luhmann, erfolgreiche Politik nur dann realisierungsfähig sei, wenn sie ein Minimum an Gegnern habe. Goetz hat Schmitts Freund-Feind-Schema als Movens bezeichnet. Wehe, wer mit ihm über Kreuz liegt.

Luhmann sprach auch davon, wie er nach Humberto Maturana einem bestimmten Erzählduktus folgt, wenn er über seine eigene Biografie nachdenkt: Er charakterisierte diese als Serie von Zufällen. Eben nicht vorherbestimmt. Luhmann äußerte sogar seine Schwierigkeiten mit dem Begriff des Intellektuellen. Rainald Goetz ist der Inbegriff eines rigoros Handelnden und moralisch Denkenden. Diese Strenge finde ich anstrengend, aus der Distanz aber auch amüsant. Das Genie, das bei Luhmann in jener Vorlesung immer wieder aufgeblitzt ist, dieses elegante und unprätentiöse Referieren, der gute trockene Geist, den vermisse ich bei Goetz. Trotzdem: Sein Internet-Tagebuch ist eines der wichtigsten deutschsprachigen Werke der nuller Jahre. JULIAN WEBER