LESERINNENBRIEFE
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Was bedeutet das?

■ betr.: „Ermittlern fehlte die Fantasie“, taz vom 10. 5. 12

Was bedeutet es, dass ein Mann, der sich Generalstaatsanwalt in Köln, einer Millionenstadt, nennt und demnach eine herausragende Position im Staat besetzt, einem offenkundig nazistischem Flugblatt („Deutsche, wehrt euch“), wie Sie es zitieren, keine Ausländerfeindlichkeit entnehmen kann; einem Blatt, dessen korrekte Bewertung früher auf die Spur der NSU-Mörder geführt hätte? Wenn also örtliche NSU-Sympathisanten gut Bescheid wussten: Warum musste der Mann das Offensichtliche leugnen? Wenn er nicht einen intellektuellen Blackout gehabt haben sollte: Was mag ihn zu dieser Einschätzung bewogen haben? Darf man ein solches Staatsversagen noch unwesentlich, vielleicht schrullig-karnevalesk finden, dem örtlichen Klüngel zuliebe, wenn auf der anderen Seite der Waage zehn NSU-Morde in der Waagschale liegen, von denen einige noch zu verhindern gewesen wären? REINHARD FINCK, Moers

Der Flughafen ist blödsinnig

■ betr.: „Berlin kriegt keinen hoch“ u. a., taz vom 9. 5. 12

Wowereit und Platzeck hätten von der Toll-Collect-Story eigentlich lernen müssen, ebenso wie diejenigen, die immer noch glauben, Stuttgart 21 werde wie geplant und zu den angesetzten Kosten realisiert. Die Ingenieure, die solche Projekte durchführen, arbeiten unter dem Diktat von Managern, die nur eines im Sinn haben: möglichst geringe Kosten, möglichst viel Shareholder Value. Da ist „gute Technik“, Sicherheit und Nutzen bzw. Schaden für Mensch und Umwelt uninteressant. Wenn dann die „Murphyschen Gesetze“ zuschlagen (zum Beispiel: „Die Sicherheit von Lieferterminen ist umgekehrt proportional zu den Beteuerungen über die Einhaltung der Termine“, „Sachkenntnis trübt die Klarheit der Entscheidung“), ist das Erstaunen groß.

Dieser Flughafen ist aber auch grundsätzlich blödsinnig. In einer Zeit, in der klar wird, dass die extrem umweltschädliche Vielfliegerei schon deshalb zu Ende gehen wird, weil der Sprit bald ausgeht, sollte man nicht auf Wachstum dieses Irrsinns setzen, sondern auf das, was gerade der Club of Rome wieder ins Bewusstsein gebracht hat: Es ist ökonomisch-industrielle Abrüstung angesagt, sonst wird uns die Natur die Quittung in Gestalt exponentiell wachsender Klima- und Umweltkatastrophen präsentieren. Also: weniger Flughäfen, Rückbau des überdimensionierten Verkehrssektors, Vermeidung von Verkehr ist angesagt. Dass inzwischen Bürger nicht mehr an den Quatsch glauben, sie müssten der „Wirtschaft“ und deren Renditen dienen, statt umgekehrt die Ökonomie endlich an menschliche Bedürfnisse und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen anzupassen, zeigt sich außer in BIs gegen Fluglärm vielfältig – und wird inzwischen zunehmend durch Verbotsversuche wie gegen „Blockupy“ in Frankfurt behindert, damit „die Wirtschaft“ frei schalten und walten kann. Was dabei rauskommt, zeigt die Schönefeld-Pleite als Teil einer langen Reihe von Pannen, die die Ingenieure dann unter Kosten- und Zeitdruck ausbügeln müssen. „Es ist die Renditen- und Wachstumswirtschaft, Dummkopf“, die den Mist zu verantworten hat, und natürlich Politiker, die immer noch an sie glauben.

WOLFGANG NEEF, Berlin

Wer wird in Anspruch genommen?

■ betr.: „Sparkurs lockern“ u. a., taz vom 9. 5. 12

In der Debatte über die griechischen (und andere, auch deutsche) Staatsschulden wird ständig ein Kategorienfehler begangen. Da stehen Staaten gegen Staaten – und die umworbenen Märkte führen im Hintergrund das Zepter. Dabei ist gar nicht die Frage oder das Problem, die Staatsschulden zu bezahlen; es geht darum, wer dafür in Anspruch genommen wird. Zieht man diejenigen heran, die über Jahre maßgeblich von den Zinszahlungen profitiert haben (die „Reichen“ aller Welt), ist budgetäre Balance kein größeres Problem mehr. Nicht Griechen gegen Deutsche, Bremer gegen Bayern usw., sondern „oben“ gegen „unten“ sollte thematisiert werden. Das wäre die erste Diskussionslinie.

Danach wird aber ein größeres Problem sichtbar: das „Betriebssystem“ der Ökonomie (um mal Piratensprech zu bemühen), angesichts der enger werdenden Naturräume (Club of Rome!), Marktchancen und sozialen Grundlagen. Wir müssen umschalten zur Steady-State-Economy, das Wachstumsparadigma muss gewandelt werden in eine an Individualglück und Gemeinwohl orientierte, qualitative Wirtschaft. „Nachhaltiges Wachstum“ gibt es nicht, wachsende Produktion und Zinsgewinne sind das genaue Gegenteil von Nachhaltigkeit (lies: Verträglichkeit). MAIK HARMS, Hamburg

Demokratie braucht Opposition

■ betr.: „Merkel ist kein Naturgesetz“, taz vom 8. 5. 12

Danke für die sehr gute Analyse der europapolitischen Aspekte nach dem „Sturm aus der Bastille“, dem Ende der „Ära Merkozy“. Wenn morgen gewählt werden dürfte, könnte sich Ihre Prophezeiung einstellen: Merkel als Chefin einer großen Koalition. Eine große Koalition hebelt aber die Parteiendemokratie aus, die auf eine starke Opposition angewiesen ist. Wahrscheinlicher wird bei der nächsten Bundestagswahl die Prognose von Daniel Cohn-Bendit (auf Seite 3): Rot-Grün-Orange, wie auch (auf Seite 4) beschrieben „Das kalkulierte Wagnis“ Rot-Grün-SSW, mit Duldung von Orange.

Hoffentlich eröffnen sich nach der Frankreich- und Griechenlandwahl neue Möglichkeiten jenseits der „Euroschirme“ und „Bankenrettung“ mit konvertierbaren (abwertbaren) Regionalwährungen, z. B., wie auch in der taz vorgestellt. NORBERT VOSS, Berlin