„Verbrämter Kannibalismus“

Grüne kritisieren Bundeskanzler Schröder scharf, weil er die Stammzellenforschung lockern will

VON WOLFGANG LÖHR

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat gestern dafür plädiert, die Forschung mit Stammzellen in Deutschland freizugeben – und vehementen Protest in der rot-grünen Koalition ausgelöst. Die Nutzung von Embryonen „zur Ausschlachtung für embryonale Stammzellen ist forschungspolitisch verbrämter Kannibalismus“, wies etwa der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen Volker Beck das Ansinnen Schröders zurück.

Der Bundeskanzler bekam gestern an der Universität Göttingen die Ehrendoktorwürde verliehen. „Wir dürfen uns in der Bio- und Gentechnik nicht vom Fortschritt in der internationalen Forschung abkoppeln“, sagte er dort. Schröder forderte „eine Kultur der Freiheit. Eine Kultur der Forschung ohne Fesseln, aber nicht ohne Grenzen.“ Das Stammzellgesetz ist nach Meinung vieler Forscher zu restriktiv. Und so fand Schröder, es sei zu prüfen und anzupassen.

Das Stammzellgesetz war erst im April 2002 von einer parteiübergreifenden Mehrheit verabschiedet worden. Es untersagt deutschen Forschern die Herstellung von embryonalen Stammzellen. Erlaubt ist lediglich der Import älterer Zellen. Für viele Forscher gelten die embryonalen Stammzellen als Hoffnungsträger, um Therapien etwa gegen bislang unheilbare Krankheiten wie zum Beispiel Alzheimer oder Parkinson entwickeln zu können. Die Gegner der „verbrauchenden Embryonenforschung“ hingegen setzen auf die sogenannten adulten Stammzellen, die aus dem menschlichen Körper gewonnen werden. Embryonen müssen dafür nicht getötet werden.

In der Vergangenheit hatte Schröder schon wiederholt angedeutet, dass er für eine Lockerung des Stammzellgesetzes sei. Eine konkrete Planung wurde jedoch von seinem Sprecher noch vor wenigen Wochen dementiert. Jetzt, wo er auf den grünen Koalitionspartner keine Rücksicht mehr nehmen muss, wird er deutlicher.

Doch fraglich ist, ob eine solche Gesetzesänderung überhaupt eine Mehrheit im Bundestag finden würde. Nicht nur die Grünen und ein Teil der SPD-Abgeordneten sind gegen die Embryonenforschung. Auch die Unionssprecherin Maria Böhmer (CDU) stellte gestern klar, dass es für eine Gesetzesänderung keine Mehrheit geben werde. Zustimmende Worte erhielt Schröder lediglich aus der FDP.